Forever Love, oder: Der Kater aus dem Handtuchschrank

Im November 2019 ist mein Kater Hide gestorben, einst benannt nach dem Gitarristen der Heavy-Metal-Band X Japan. Ich habe hier schon ein Jahr zuvor vom Tod seines Bruder Kafka erzählt, doch bei Hide habe ich es monatelang nicht geschafft, mich zusammenzureißen, und auch auf ihn einen angemessenen Nachruf zu schreiben.

Warum? Kafka und Hide waren ein ein Team wie Micky und Goofy, wie Pinky und Brain, wie Batman und Robin. Während Kafka mit seiner weisen, ernsten Ausstrahlung es mir leicht machte, schöne, traurige Worte zu finden, wusste ich nicht, wie ich mit dem Tod meines immer fröhlichen, gemütlichen, naiven und zu Albernheiten neigenden Hide umgehen sollte. Es erschien mir unpassend, große Worte zu nutzen, doch für drollige Anekdoten aus seinem beschaulichen Katzenleben war der Schmerz wiederum zu frisch.

Einmal, vor vielen Jahren, saß ich in der Badewanne, als Hide hereinkam. Ich hatte ungewollt die Tür aufgelassen, und aufgrund meiner Lage konnte ich ihn nicht rausscheuchen. Er ließ sich von mir auch gar nicht beirren, sondern tappte zum Schrank mit den Handtüchern – einem dieser abschließbaren Metallschränke, bei denen man den Schlüssel steckenlässt. Hide, dieser moppelige Kater, der meistens einen eher naiven Eindruck machte, biss kurzerhand in den Schlüssel, drehte den Kopf, und schloss auf. Dann kletterte er in den Schrank, machte es sich auf den frischen Handtüchern gemütlich, und als ob das nicht schon überraschend und beeindruckend genug war, zog er die Metalltür von innen mit der Pfote zu. Nie zuvor hat mich eine Katze in so fassungsloses Erstaunen versetzt.

Hide war ein lustiger Kater. Manchmal stolperte er über seine eigenen Pfoten, kullerte schlafend vom Bett oder Sofa, oder rannte seinen Bruder um. Und genau den liebte er über alles, ich glaube, es ist kein Zufall, dass Hide ab dem Zeitpunkt, da Kafka tot war, körperlich ebenfalls langsam, aber sichtbar abbaute. Ein paar Herz- und Schilddrüsenprobleme hatte er ohnehin, und trotz guter Pflege und teurer Medikamente wurde aus dem fröhlichen Dickerchen nach und nach ein ruhiger, pflegebedürftiger, melancholischer Kater, dessen Anblick mir mehr als nur einmal einen Stich versetzte. Bis zum letzten Tag, als seine Organe versagten, war er liebevoll und kuschelig, schlief immer an meiner Seite neben meinem Kopfkissen und schnurrte mich freundlich an.

Seit Hide tot ist, treibt mich der Gedanke um, ihm und meinen anderen Katzen ein Denkmal zu setzen. Ich bin kein Künstler, und daher habe ich noch keine Ahnung, wie ich das bewerkstelligen soll, was beispielsweise Current 93, Samsas Traum oder Makoto Kobayashi geschafft haben. Doch irgendwann, irgendwie werden Hide und die anderen unsterblich werden. Irgendeine Idee werde ich irgendwann haben.

Bis dahin gedenke ich dem lieben, kleinen Kater Hide, der fünfzehn Jahre lang an meiner Seite war. Wenig in meinem Leben hat soviel Freude und Fröhlichkeit verbreitet wie er.

Noël

Und wieder sehe ich das kleine Kerlchen an, dass da so selbstbewusst, aber auch etwas verträumt auf meinem Sofa liegt. Ungefähr zwei Jahre soll er alt sein, schätzt man. Wissen kann man es nicht, denn alles, was Noël bis zur Weihnachtszeit 2018 erlebt hat, wird für immer ein Geheimnis bleiben.

Fest steht, dass er kurz vor dem Fest an einer Futterstelle des Vereins Artemis – Streunerhilfe in Marousi auftauchte. In diesem Vorort von Athen, Griechenland, so viele hundert Kilometer von hier entfernt, suchte er ein Plätzchen zum Schlafen und etwas Futter. Niemand weiß, wo er herkam und was er bis dahin erlebt hat. Er scheint den Mitarbeiterinnen des Vereins zu freundlich, zu naiv, um ein erfahrener Streuner zu sein – auch sein gepflegter Zustand weist darauf hin, dass der kleine, etwas dicke Kater ausgesetzt wurde. Wie er heißt, wann er geboren wurde – niemand weiß es. Zumindest kann man aufgrund seines Zustandes und seiner ungewöhnlichen Freundlichkeit und Anhänglichkeit davon ausgehen, dass es ihm dort, wo er herkam, nicht schlecht ging. Ob sein gelegentliches, etwas unappetitliches Niesen der Grund war, ihn auszusetzen, ob jemand seiner einfach überdrüssig wurde, oder ob es halbwegs vernünftige Gründe gab, sich von ihm zu trennen, wird ebenfalls ein Geheimnis bleiben – so oder so hätte allerdings auch der nachvollziehbarste und vernünftigste Grund, sein Haustier abzugeben kein kommentarloses Aussetzen gerechtfertigt.

Etwa zu selben Zeit betrauerte ich meinen Kater Kafka, bei dem Mitte Dezember mehrere Geschwüre diagnostiziert wurde, und der durch den Bastard Krebs buchstäblich von einem Tag auf den anderen aus dem Leben gerissen wurde. Schon Jahre vorher hatte ich beschlossen, einem neuen Kater oder einer Katze ein Zuhause zu geben, wenn eines Tages nur noch eines meiner Tiere übrig sein würde. Dieser Moment war mit Kafkas Tod gekommen. Der Verein Bochumer Katzenhilfe erschien mir als sinnvoller Ansprechpartner – ich wollte das Tier nicht einfach nach meinem persönlichen Geschmack auswählen, sondern ein Tier empfohlen bekommen, das Hilfe braucht, und gut zu Hide und mir passen würde. Dort vermittelte man mich an Artemis weiter. Der Verein arbeit seit 2013 in Marousi und konzentriert sich vor allem darauf, die dortige hohe Population an Streunerkatzen mit einem Kastrationsprogramm in den Griff zu kriegen. Zudem werden immer wieder Katzen, die aufgrund von Krankheiten, Behinderungen oder ganz allgemein ihres Wesens nicht für das Leben auf der Straße geeignet sind, aufgenommen, gepflegt, und vermittelt.

Zwei Katerchen kamen in Frage: Noël und Dionysos. Letzterer war ein goldiger roter Kater, der Kafka sehr ähnlich sah, und eine kleine Behinderung an der Pfote hatte.

Mich zwischen Dionysos und Noël zu entscheiden war eine der schwierigsten Entscheidungen meines Lebens: Beide Tiere hatten ein gutes Zuhause verdient, und wäre es nicht egoistisch, mich gegen den Kater mit der Behinderung zu entscheiden? Wäre es nicht aber andererseits genauso unvernünftig, mich allein aus Mitleid FÜR ihn zu entscheiden, wenn ich riskierte, seinen Bedürfnissen vielleicht nicht gerecht werden zu können? Das waren die Gedanken, die mir durch den Kopf gingen. Letztlich entschied ich mich, nicht ohne einen Anflug von schlechtem Gewissen, für Noël. Wie man mir sein Wesen und sein Verhalten schilderte ließ mich vermuten, dass er rein charakterlich tatsächlich besser zu Hide passen würde. Außerdem konnte ich ja wirklich nicht sicher sein, ob ich Dionysos die Pflege und Aufmerksamkeit zukommen lassen konnte, die er mit seinem Pfötchen benötigte. Und noch ein Argument war wichtig: Dionysos brauchte noch eine Menge Pflege vor Ort, und würde wohl erst im April oder Mai zu uns kommen – ich wollte aber, dass Hide möglichst schnell wieder Gesellschaft bekommt, so dass er sich nicht ans Alleinsein gewöhnt.

Einige Wochen vergingen noch, in denen ich mit Doris von Artemis in Kontakt stand, immer wieder über Noëls (und auch Dionysos‘) Zustand informiert und mit vielen liebenswerten Bildern und Videos versorgt wurde. Und dann stand irgendwann der Termin fest: Am 25. Februar, dem Tag, den ich später zu Noëls Geburtstag erklären würde, sollte er zusammen mit drei weiteren, teilweise bereits vermittelten Katzen die Reise antreten. Sieben Stunden wurde er in seinem Körbchen zu Fuß, mit dem Auto und dem Flugzeug durch die Gegend transportiert, bis wir uns dann am Düsseldorfer Flughafen zum ersten Mal sahen.

Drei Monate sind seitdem vergangen, und Noël hat sich gut eingelebt. Ich glaube nicht, dass er und Hide jemals ein so enges Verhältnis aufbauen wie es einst Hide und sein Bruder Kafka hatten – aber es klappt mit den beiden immer besser. Sie gehen sich meist noch aus dem Weg, manchmal prügeln sie sich auch ein wenig, aber keiner hat Angst oder Aggressionen dem anderen gegenüber. Manchmal putzen sie einander, manchmal liegen sie aneinandergedrückt auf dem Sofa – und dann fliegen wieder Fellfetzen.

Hide ist jetzt fast fünfzehn Jahre alt. Er hat in den letzten Monaten sichtbar abgenommen, ist aber laut Arzt in einem altersgemäß guten Zustand. Noël niest immer wieder mal, und wird damit vermutlich auch nicht mehr aufhören. Außerdem hat er kleine Deformationen an einer Zehe und seiner Schwanzspitze – beides aber völlig harmlos.

Ich hoffe, uns dreien sind noch einige gemeinsame Jahre beschieden. Und wenn Hide uns irgendwann einmal verlassen muss, werden wir wieder einen Streuner willkommen heißen.

Nicht ohne meine WarriorCats

Ich habe diesen Beitrag im Mai 2015 als Reaktion auf den letzten Band der vierten Staffel der Jugend-Fantasy-Serie WarriorCats geschrieben.


Insbesondere von meinen literarisch gut ausgebildeten und anspruchsvollen Freunden wurde ich schon oft gefragt, warum ich diese Endlos-Serie immer noch lese und ob es nach gefühlten drölfzighundert Büchern nicht langweilig wird.

Ja und nein.

WarriorCats ist schon lange keine innovative, anspruchsvolle Jugendliteratur mehr. Natürlich ähneln sich die Geschichten, wer wollte das bestreiten? Immerhin sind seit Sommer 2007 in Deutschland nun tatsächlich 24 Hauptbände erschienen – die alle bislang noch in der selben „Ära“ spielen, auch wenn sich der Ort des Geschehen in der Mitte geändert hat. Dazu mehrere Spin-Offs in Roman- und Comic-Form. Anderthalb Meter im Buchregal.

Und zugegeben, längst nicht alle Abenteuer der Katzen sind besonders kreativ, noch dazu verliere ich immer öfter den Überblick über Figurenkonstellationen. Vor allem, seit das Fantasy-Element, welches zu Anfang noch fast gar nicht existierte, immer stärker wird, und nun Seelenwanderung, Wiedergeburten und ähnliches an der Tagesordnung sind. Immerhin passiert, überspitzt formuliert, in der vierten Staffel nichts geringeres als der Kampf Himmel gegen Hölle, der auf Erden Wirklichkeit wird. Nur eben mit Katzen.

Aber es geht mir schon lange gar nicht mehr darum, anspruchsvolle Literatur zu lesen, wenn ich einen WarriorCats-Band zur Hand nehme. Vielmehr sind der DonnerClan, die Einzelläufer und die Mythologie um SternenClan und Wald der Finsternis zu einem (Achtung, Pathos!) Teil meines Lebens geworden, wie es bei anderen Leuten mit Seifenopern oder Perry-Rhodan-Heftchen passiert.

Ich habe das Gefühl, diese Figuren zu „kennen“, weil ich seit mittlerweile acht Jahren immer wieder in diese Welt hineinblicke, wo Katzen im Rang aufsteigen, Junge geboren werden, Älteste versterben, und Reisen unternommen werden.

Dieses spezifische Gefühl der Bindung an eine fiktive Welt kann nur eine Serie erzeugen, die man nicht nur gelegentlich, sondern über Jahre hinweg verfolgt.

Dazu kommt: Mit vielen Bänden verbinde ich persönliche Erlebnisse aus meinem eigenen Leben. Band I/1 war mein erstes eigenes Leseexemplar kurz nach Beginn meiner Ausbildung. Bei Band I/3 passierte erstmals etwas sehr ernstes, so dass die Liebe so richtig entfacht wurde. Die WarriorCats waren die größte Konstante meines Buchhändler-Lebens.

Und nun habe ich noch etwa sechzig Seiten von Band IV/6 vor mir, der meines Wissens das Ende dieser Ära markiert. In zukünftigen Staffeln werden ganz andere Geschichten erzählt, und meine Helden sind entweder noch lange nicht geboren, oder selbst zu Legenden geworden. Und ich bin ganz sicher, dass auf diesen Seiten noch ein paar Katzen das Zeitliche segnen werden, die ich seit acht Jahre kenne und mag. Gibt es Gerechtigkeit da draußen? Dann bitte, verschafft meiner geliebten Mausefell ein Ende mit allem Pomp, den sie verdient hat! Ich weiß nicht, was mich heute Abend beim Lesen erwartet, aber ich werde es erfahren, und ich werde heulen bei ein Junges, das in eine Pfütze fällt.

Es mag albern sein, so etwas angesichts einer Jugend-Fantasy-Serie über sprechende Katzen zu sagen, aber wenn ich heute Abend den Buchdeckel zuklappe, endet ein liebgewonnener Teil meines Lebens.

Danke, Beltz & Gelberg, danke, warriorcats.de. Es war eine schöne Zeit! Möge der SternenClan Euren Weg erleuchten.


Seit diesem Beitrag sind fast vier Jahre vergangen, und im englischsprachigen Raum ist die Serie bereits bei der siebten Staffel angekommen. Ich lese die WarriorCats-Bücher immer noch sehr gerne, und noch immer gibt es mitunter einzelne Handlungsstränge, die mich mit ihrer Kreativität und interessanten Charakteren überraschen.

Auch ist mittlerweile ist mein Kater Kafka, der mich immer irgendwie an Feuerstern erinnert hat, gestorben. Welch Zufall, dass der neue Kater Noël, den ich im Winter bei mir aufgenommen habe, so aussieht, wie ich mir Graustreif immer vorgestellt habe …