Rezension: „Es – Kapitel Zwei“

Am Ende geht es immer um Schmerz, Angst, Traumata. Die Dinge, die wir hinter uns gelassen, aber nie ganz verarbeitet haben. Die Monster, die uns Böses angetan haben, und dabei freundlich lächelten. Menschen, keine bösen Fantasiegestalten.

Das Wesen, dass der Club der Verlierer nur „Es“ nennt, ist eine übernatürliche Kreatur, die sich von Angst ernährt. Im Kontext des Romans und seiner Verfilmungen ist „Es […] der dunkle, unzugängliche Teil unserer Persönlichkeit; […] und das meiste davon hat negativen Charakter, lässt sich nur als Gegensatz zum Ich beschreiben. Wir nähern uns dem Es mit Vergleichen, nennen es ein Chaos, einen Kessel voll brodelnder Erregungen.“ Es würde mich wundern, wenn Stephen King bei der Konzeption seines auch in Bezug auf die Seitenzahl monströsen Romans nicht auch an das Strukturmodell der Psyche von Sigmund Freud (oben zitiert nach Wikipedia aus Neue Folge der Vorlesungen) gedacht hätte. Nun möchte ich mich nicht in psychoanalytischen Betrachtungsweisen verheddern – dafür fehlt mir schlicht der Sachverstand. Es fällt jedoch schwer, Freud auch nur oberflächlich zu lesen, ohne offenkundige Parallelen zu Pennywise, dem tanzenden Clown zu entdecken.

Doch wo Pennywise je nach Betrachtungsweise ein psychologisches Konstrukt oder einfach nur ein imposantes Film-Monster ist, offenbart sich der wahre Horror in der Realität, in jenen Dingen, von denen wir wissen, dass sie Tag um Tag da draußen geschehen. Ein Mann wird aus purem Schwulenhass brutal zusammengeschlagen und zum Sterben im Fluss zurückgelassen. Kinder verprügeln und beleidigen einander, Hautfarben, Religionen, Geschlecht und Gender werden zur vorgeschobenen Begründung, warum dieser oder jene in der Nahrungskette der Gesellschaft oben oder unten verortet wird.

Die sieben Kinder, die sich Club der Verlierer nennen, sind im zweiten Teil der modernen Neuverfilmung von Es erwachsen geworden. Sechs von ihnen haben ihre Heimatstadt verlassen und vergessen, und sind erfolgreich geworden. Da ist ein Model und ein Anwalt. Ben, der dicke, unbeholfene Ben, ist ein attraktiver Star-Architekt geworden, der stark an Robert Downey Jrs.s Figur Tony Stark aus Iron Man erinnert. Richie, das Schandmaul mit den Penis- und Deine-Mutter-Witzen, ist ein beliebter Comedy-Star. Und doch sind die Narben der Kindheit noch da – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn.

Was King in seinem Roman geschickt vermischt – nämlich die beiden Zeitebenen der Kinder und der Erwachsenen, muss für die Struktur als Film-Zweiteiler einem etwas lineareren Aufbau weichen. In Teil 1 erfuhr man vor zwei Jahren, wie die Kinder Es fast besiegt hätten, und ihm entkommen sind. Kapitel 2 erzählt nun, was ihnen 27 Jahre später widerfährt, als sie aufgefordert werden, ihrem Schwur Folge zu leisten, und an den Ursprung ihrer verdrängten Ängste zurückzukehren.

Es ist eine Freude, die zwei mal sieben Schauspieler in den Rollen der (Ex-)Außenseiter zu sehen. Schon die Kinder (darunter Finn Wolfhard aus Stranger Things) wussten zu begeistern, und ihre erwachsenen Pendants sind faszinierend anzusehen, so ähnlich sind sie den Kindern sowohl in ihrem Äußeren als auch in Verhalten, Mimik und Gestik. Die Illusion, dass dies ein und dieselben Personen sind – man kauft sie dem Film sofort ab. Die Kinder indes sind – mit aufwendigen Computertricks digital verjüngt – in einigen neuen Rückblenden zu sehen. Indem sich die Charaktere im zweiten Teil nun an weitere Kindheitserlebnisse erinnern, die im ersten Teil gar nicht zu sehen waren, wird zudem wenigstens ein bisschen an die ursprüngliche Romanstruktur mit ihren spielerischen Übergängen zwischen den Zeitebenen erinnert.

Sechs der sieben Verlierer. V.l.n.r.: Richie, Beverly, Bill, Eddie, Mike, Ben.

Etwa ab der Hälfte jedoch beginnt der Film, mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Verlierer müssen sich aufteilen und jeder für sich ein Artefakt aus ihrer Vergangenheit finden. Einen alten Liebesbrief, ein altes Spielzeug oder der gleichen. Eine episodische Erzählweise folgt, die zwar einige der stärksten Szenen beherbergt, und im Roman maßgeblich für die Ausgestaltung der Charaktere ist, in der Verfilmung jedoch streckenweise zäh wird. Dass Ben sein Artefakt als einziger nicht suchen muss, weil er es seit 27 Jahren in der Geldbörse verwahrt, wirkt fast, als hätten auch die Filmemacher versucht, diese Passage irgendwie doch noch zu beschleunigen. Während Beverlys Rückkehr in ihre alte Wohnung und das Treffen mit dem als alte Frau getarnten Monster (bekannt aus dem Trailer) noch beeindruckt, schleicht sich danach der Eindruck ein, dass Es auch als Netflix-Serie hätte funktionieren können – teilweise vielleicht besser.

Zumal, der massiven Laufzeit von fast drei Stunden zum Trotz, viele Elemente der Vorlage fehlen. Speziell die jeweiligen Ehepartner von Bill (eine Schauspielerin) und Beverly (ein sie missbrauchender Gewalttäter) haben im Roman grundlegende Bedeutung bis hin zum großen Finale, während sie hier zur Staffage reduziert wurden – eine Kritik, die ich beim ersten Teil schon in Bezug auf die Figur des Patrick Hockstetter geäußert habe.

Und dann das große Finale: Der Kampf gegen die eigene Angst, ein „Kampf der Willenskraft“. Die Metaphorik ist nicht schwer zu entschlüsseln: Es fällt leicht zu verstehen, dass die Verlierer mit dem geifernden Monster vor allem die Dämonen ihrer Kindheit bekämpfen. Letztlich ist es das Mantra „Es ist nur ein Clown! Nur ein lächerlicher Clown!“, das ihnen den Sieg bringt – keine magische Waffe, kein göttlicher Beistand.

Für die Filmemacher ein Spagat: Während der Roman abstrakte Bilder heraufbeschwört vom haltlos durchs Weltall trudelnden Bill, der sich mit Maturin, der alten Schildkröte gegen den Millionen Jahre alten Weltenverschlinger stellt (nebenbei: „Maturin“ – kann man noch offensichtlicher machen, was hier passiert?), bemüht die alte Verfilmung von 1990 einen Kampf gegen eine jämmerlich mit praktischen Filmtricks zusammengeschusterter Riesenspinne, die seit vielen Jahren für die meisten King-Fans ein Quell der Lächerlichkeit und der Hauptgrund für die eher ablehnende Haltung jener Verfilmung gegenüber ist. Nebenbei: Die Audiokommentare des alten Films enthüllen zumindest, dass auch die Macher das Vieh eher peinlich fanden.

In Es – Kapitel 2 wird der große Endkampf leider auch zu einem eher hollywood‘esken Spektakel, in dem der eigentliche Kern des Bannrituals nur eine untergeordnete Rolle spielt. In aller Fairness: Eine wirklich dem Roman gerecht werdende Visualisierung wäre sicherlich derart abstrakt geworden, dass ein Großteil des Publikums rebelliert hätte. Kennt jemand die Anime-Serie Neon Genesis Evangelion? Deren Ende ist eine ganz fantastische bildliche Umsetzung von Selbstüberwindung und psychischen Erkenntnisprozessen, wie sie auch Vorbild für Es hätten sein können – wurde jedoch von den meisten Zuschauern kritisiert, die eben lieber kämpfende Riesenroboter sehen wollten.

Zwei weitere kontroverse Aspekte sollen nicht unerwähnt bleiben: Richie wird zum Schluss als schwul offenbart. Eigentlich eine schöne Sache, die einige Verhaltensweisen von Richie klarer macht (beispielsweise zögert er in Teil 1 bei der Frage, wovor er am meisten Angst habe etwas – nun weiß man, dass er damals seinen Freunden nicht seine wahre Angst offenbarte). Dennoch hätte ich mir gewünscht, dass Thema stärker in die Handlung zumindest des erwachsenen Richie einzubinden. So bleibt es bei einer rührenden Geste ganz am Ende des Films.

Zum anderen wäre da noch der Humor: Es – Kapitel 2 ist zu witzig. Und das liegt gar nicht so sehr an den vielen markanten Sprüchen und Witzen. Es geht hier um pubertierende Teenager einerseits, und um Erwachsene, die unmittelbar mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert werden und in alte Verhaltensmuster zurückfallen. Eine steter Fluss an Pimmel-Witzen und dergleichen ist da vorprogrammiert und durchaus erstmal okay – wird irgendwann aber einfach zu viel. Auch dass Pennywise (der allerdings deutlich seltener in der reinen Clownsgestalt auftaucht als im ersten Film) seine eigenen, verqueren Witze macht – geschenkt. Warum die Filmemacher jedoch an sich ernste Szenen wie etwa den Kampf zwischen Eddie und dem Leprakranken mit lustiger Musik zu einem billigen Lacher machen und regelrechte Slapstick-Szenen (Drücken, nicht ziehen!) einbauen mussten, erschließt sich beim besten Willen nicht.

Zwischen Horror und Groteske: Bill auf dem Jahrmarkt – mit Clowns im Tim-Curry-Stil.

War ich von Es zwei Jahre zuvor noch rundherum begeistert, so kann ich nicht umhin, an Kapitel 2 einige Enttäuschungen festzustellen. Auf viele starke, berührende oder schockierende Szenen kommen unangenehm alberne Momente, und vom großen Finale hätte ich mir mehr Mut zu einer abstrakteren, krasseren Inszenierung gewünscht. Doch bleibt unterm Strich eine gut gelungene Verfilmung, der es überwiegend sehr gut gelungen ist, aus dem 1200-Seiten-Roman ein etwa fünfstündiges Film-Event zu machen.

Was bleibt, ist trotz allem eine frohe Botschaft: Mut zu finden ist eigentlich gar nicht so schwer, wenn man sich nichts zutraut – denn man hat ja auch nichts zu verlieren. Die Dämonen sind besiegbar – wenn man sich ihre Existenz eingesteht, und den Kampf aufnimmt. Auch im Angesicht von blutigen Morden, tragischen Lebensgeschichten und schrecklichen Traumata ist Es eine zutiefst positive, lebensbejahende Geschichte. Kaum ein Kampf kommt ohne Opfer und Verluste aus, doch am Ende steht eben die Erkenntnis, dass er nun einmal gekämpft werden muss – und gewonnen werden kann.

Auf einem Skateboard kann man nicht vorsichtig sein.

Es – Kapitel 2 läuft seit dem 5. September 2019 im Kino.
Es (Kapitel 1) ist in verschiedenen Heimvideoformaten und als Video on Demand verfügbar, für Es – Kapitel 2 ist die Heimvideo-Veröffentlichung für den 23. Januar 2020 geplant.

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