Konzerttherapie

Ich war in diesem Jahr auf dreizehn Konzerten – also mehr als einem pro Monat. Das ist nichts besonderes – ich habe Freunde, die schaffen locker das fünffache im Jahr. Dennoch sind diese dreizehn Konzerte für mich etwas besonderes – denn es sind mehr als alle, die ich in meinem gesamten Leben zuvor besucht habe. Und das hat einen Grund.

Musik war zwar nie mein größtes und wichtigstes Hobby, aber doch etwas, was eine große Rolle in meinem Leben einnimmt. Was jedoch auch einen großen Teil in meinem Leben eingenommen hat, war eine toxische Beziehung zu einer Frau, die mich über zehn Jahre fast vollständig kontrolliert hat. Erst mit einigen Jahren Abstand habe ich erkennen können, wie sehr sie mir geschadet hat – geholfen haben dabei nicht nur Therapien, sondern eben auch die Musik meiner Lieblingsbands.

ASP in der Historischen Stadthalle Wuppertal

Besagte Partnerin hielt nicht viel davon, mit mir oft und gemeinsam etwas zu unternehmen – und ich, in meiner Jugend durch starkes Mobbing vorgeprägt und fast ohne soziale Kontakte außerhalb der Beziehung, hatte keinen Antrieb, auf eigene Faust oder mit eigenen Freunden auszugehen. Und wenn wir uns dann doch mal auf ein Konzert einigen konnte – ein paar Mal waren wir bei den Bands Samsas Traum und ASP, die ich auch heute noch zu meinen Favoriten zähle, dann nicht ohne Schuldzuweisungen, wie anstrengend es sei; wie unverschämt mein Wunsch, sich für das Konzert schick zu machen sei; und dass wir ganz sicher nicht auch noch hinterher etwas trinken gehen würden oder ähnliches. Kurzum: Konzertbesuche wurden eines von vielen Dingen, die ich mir in der Beziehung zwar wünschte, doch WENN dieser Wunsch dann tatsächlich einmal erfüllt wurde, dann wurde mir gleichzeitig ein schlechtes Gewissen eingeredet, so dass ich nichts davon vollauf genießen konnte.

Samsas Traum in der Matrix Bochum

Zwei Jahre nach der traumatischen Trennung war ich zum ersten Mal ohne meine Ex auf einem Konzert. Alleine, denn ich hatte noch keine Freunde, die meinen Musikgeschmack teilten. Als Samsas Traum an diesem Abend eines meiner Lieblingslieder spielten (in dem es meiner Auffassung nach übrigens um krankhafte Eifersucht und Kontrollzwang geht), hatte ich so etwas wie eine Erleuchtung. Ich stand hier, schwelgte in „meiner“ Musik, headbangte zu härteren Stücken, sang mit, und anstatt zu bedauern, dass niemand diesen Moment mit mir teilte, wurde mir klar, dass erstmals auch niemand da war, der mir vorschrieb, was ich zu tun hätte, der mich für das „alberne“ Hüpfen und Mitgröhlen kritisierte und sich darüber lustig machte, wenn ich die Hände zur Heavy-Metal-Pommesgabel erhob. Ich war frei, und das hatte ich in diesem Moment erstmals verstanden.

Es dauerte trotzdem noch Jahre, bis ich Anfang 2019 beschloss, dass ich endlich mehr unter die Leute müsse und mir selbst das Ziel setzte, jeden Monat ein Konzert zu besuchen (oder eben zumindest zwölf im gesamten Jahr). Ich wollte nicht mehr nur zu „meinen“ Bands, sondern auch einfach mal zu irgendwelchen, die ich nicht kannte. Einfach, um Freunde zu treffen (die ich inzwischen gefunden hatte) und vielleicht endlich meine Angst vor größeren Zusammenkünften zu überwinden. Nebenbei hoffte ich ja auch seit Jahren darauf, irgendwann noch eine neue Partnerin zu finden, und Konzerte dieser Art erschienen mir als sinnvoll, um zumindest meinen Freundes-/Bekanntenkreis auszuweiten. Letzteres hat sogar geklappt – das mit der Partnersuche bisher leider noch nicht.

Welle: Erdball, Rroyce, Hertzinfarkt und Kid Knorke gemeinsam in der Turbinenhalle Oberhausen

Zwei der Konzerte stachen letztlich besonders heraus: Samsas Traum im Frühjahr, wo ich die Gelegenheit erhielt, mich backstage umzuschauen; und Welle: Erdball im Herbst. Letzteres hauptsächlich deshalb, weil meine Ex mir diese Band damals regelrecht verboten hatte, weil sie selbst elektronische Musik nicht mochte. Der Besuch dieses Konzertes fühlte sich daher für mich auch ein Stück weit so an, als habe ich ein alten Fehler endlich korrigiert. Und abgesehen davon war es ein verdammt spaßiger Abend – und das erste Konzert, in dessen Rahmen ich es tatsächlich geschafft habe, mit einer sympathischen, enorm attraktiven und mir völlig unbekannten Frau ins Gespräch zu kommen – wenn auch nur per Instagram am Tag darauf, und ohne weitere Folgen. Für jemanden wie mich war auch das eine enorme Überwindung – und ich bin froh darüber, mich selbst in diesem Jahr so oft überwunden zu haben.

„Es muss immer weiter geh’n – Musik als Träger von Ideen!“ (Kraftwerk, „Techno Pop„)

Konzertliste:
18.01.: Brainstorm (mit Mob Rules und Gloryful)
01.02.: L’Âme Immortelle (mit Versus und Dunkelsucht)
15.02.: Ghost (mit Candlemass)
22.02.: Gaahls Wyrd (mit Tribulation und Uada)
06.04.: Samsas Traum (mit Exfeind und This Eternal Decay)
23.04.: Lacrimosa (mit Kartagon)
27.04.: ASP (mit The Little Big Men)
21.09.: Hallig
19.10.: Khthoniik Cerviiks (beim Mini-Festival Odyssey To Blasphemy)
26.10.: Perturbator (mit The Algorithm)
08.11.: Welle: Erdball (mit Kid Knorke, Hertzinfarkt und Rroyce)
22.11.: Mayhem (mit Gaahls Wyrd, Gost und Attic)
23.11.: Cold Revenge (beim Mini-Festival Metal For Mercy)

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