Die Geschichte von Felix, dem Pommeskater

Das Zimmer war hell, als ich Felix zum ersten Mal sah. Ein dicker, gemütlicher Kater lag dort auf dem Fensterbrett und sonnte sich. Sein Mäulchen und Bauch schneeweiß, der Rücken und Schwanz so orangerot wie bei meinen eigenen Katern.

Mein Lieblingsfoto, auch wenn es etwas unscharf ist

Das hübsche rot-weiße Fell brachte mich später dazu, ihm den Spitznamen Pommes-Kater zu verpassen, doch in diesem Moment war mir nicht nach Scherzen. Von seiner Besitzerin, einer Bekannten um mehrere Ecken, hatte ich gerade erst die Geschichten gehört, wie ihr das Tier das Leben zur Hölle machte. Nicht, dass man es nicht verstehen konnte: Er wurde als kleiner Kater von ihren Mitbewohnern schlecht behandelt, von anderen Katzen verprügelt und war allen nur noch eine Last. Aus Frust pinkelte er in Töpfe und sogar eine Gitarre, verursachte beträchtliche Schäden und durchaus nachvollziehbaren Frust bei allen Beteiligten. Er war ein Problem, auch wenn ich keine Sekunde daran zweifle, dass seine Besitzerin ihn geliebt hat.

Sie zog, soweit ich weiß, einst wegen einer Ausbildung aus Ostdeutschland ins Bergische Land, wo ich damals wohnte, und nahm den kleinen Kerl als Tröster und Aufpasser mit, der über ihr neues, selbstständiges Leben wachen sollte. Doch es klappte einfach nicht.

Ende 2013 war er noch ein recht pummeliges Kätzchen.

Mit diesem kleinen Problemkater konnte ich mich identifizieren. Wie er da lag schien er mir sagen zu wollen: „Ich möchte doch nur ein wenig liebgehabt werden. Wieso mag mich denn keiner so richtig?“ Von Selbstzweifeln und der Sehnsucht nach Nähe und Liebe verstand ich etwas, und so hatte dieser kurze Moment etwas sehr Magisches für mich. Ich ging zu ihm, streichelte ihn und schmuste mit ihm, und sagte ihm, dass er bestimmt ein toller Kater sei – wie man eben mit Tieren so daherredet, wenn man einen Draht zu ihnen hat.

Ich weiß nicht mehr, wann genau ich die Bitte erhielt, ihn wegzubringen. Besagte Bekannte hatte sich endgültig entschieden, dass Felix ins Tierheim müsste. Da sie keine Möglichkeit hatte, ihn zu transportieren (er schrie im Tragekorb stets ganz enorm, und konnte unmöglich längere Strecken mit Bus und Bahn transportiert werden), bat sie mich, ihn zum Tierheim zu fahren. Zudem wollte sie vor Ort nicht dabei sein, sondern sich vorher zuhause von ihm verabschieden. Ich kann mir bis heute keine Meinung zu dieser Entscheidung bilden. Mir fallen nur sehr wenige Situationen ein, in denen ich ein Tier abgeben würde, und simpler Stress oder Kosten gehören nicht dazu. Andererseits kannte ich diesen Stress nicht aus erster Hand, und hatte auch immer genug Geld für meine Haustiere. Wer war ich also, zu urteilen?

Tatsache ist: Da, wo Felix hinsollte, kam er nie hin. Erst war er bei mir, und ich versuchte, ihn zu vermitteln. Sogar den Sänger meiner Lieblingsband (von dem ich wusste, dass er Katzen mag), schrieb ich an. Dann kam Felix zu meiner Tante, doch das war ebenfalls nicht das richtige für ihn – es stellte sich schnell heraus, dass er einfach nicht allein bleiben konnte. Eine berufstätige Person ohne andere Katzen reichte ihm leider nicht. Meiner Tante tat das vermutlich mehr weh als Felix selbst – ich weiß, dass sie Katzen liebt und später kümmerte sie sich viele Jahre liebevoll um den Kater meiner Mutter, nachdem diese starb.

Und dann war Felix wieder bei mir. Genaugenommen bei mir und meiner damaligen Partnerin, aber über die brauche ich hier nicht viele Worte verlieren. Es war eine schöne Zeit, auch wenn Felix immer einen recht speziellen Charakter hatte. Ich komme nicht umhin zu sagen, dass er auch mir sehr viele Probleme bereitet hat. Er prügelte sich mit den anderen Katern. Insbesondere Hide wurde oft von ihm provoziert und angegriffen – was fast immer zu Felix‘ Ungunsten ausging, da Hide doch um einiges stärker war. Er leckte mit Leidenschaft an Taschenbüchern, die er mit seiner rauen Zunge binnen Minuten in Papiermachée verwandelte. Viele Hundert Eure gingen allein für neu gekaufte Bücher drauf – insbesondere Felix‘ Lieblingssorte, Tokyopop-Mangas mit matter Umschlaggestaltung.

Kann kein Wässerchen trüben: Felix in seinem Schlafzimmer.

Er – bitte verzeiht die Ausdrucksweise – schiss, pisste und kotzte in jede erdenkliche Ecke der Wohnung, nur das Katzenklo traf er äußerst selten. Dafür einmal sogar die Schuhe eines bekannten Comic-Zeichners. Und wenn dann stand er darin, und reckte den Hintern über den Rand, um seinen Haufen davor zu legen. Wenn Felix trank, dann patschte er vorher minutenlang in den Napf und schlabberte anschließend den Boden ab. Natürlich verteilte er auch ein veritables Katzen-Tapsen-Muster auf dem Laminat. Nicht zuletzt warf er Futterbrocken ins Wasser, sehr zum Missfallen seiner beiden „Stiefbrüder“. Ich glaube, seit ich Felix bekam war meine Wohnung nie mehr wirklich sauber.
Irgendwann wurde er kränklich – Herzfehler und Schilddrüsenüberfunktion. Beide ließ ihn etwas schlapper werden und ordentlich abnehmen. Von soliden sieben bis acht Kilo fiel er auf drei bis vier und war irgendwann zu klein und schmächtig, um es mit Hide aufzunehmen.

Nun ja, eine wirklich enge Freundschaft hat zwischen den dreien im Grunde nie bestanden. Katzen sind eigensinnige Tiere, deren Art von Emotionalität nicht mit der unseren vergleichbar ist. Ich war es, der sie als „drei Brüder“ gesehen hat, ich schätze, die selbst sahen es eher als friedliche Koexistenz zwischen den Brüdern und „dem Neuen“. So sind Katzen nun mal, und Felix war sowieso nie ein Kuscheltier. Er beteiligte sich nur selten am gegenseitigen Putzen, und mit dem Alter und der Schwäche ließ auch seine Fähigkeit nach, sich gegen die Konkurrenz zur Wehr zu setzen. Oft musste ich Streitigkeiten schlichten oder ihn separat füttern, damit es nicht zur heißen Schlacht am kalten Buffet käme.

Vor zweieinhalb Jahren war ich dann sicher, ihn zu verlieren. Von einer Nacht auf die andere schleppte er sich wackelnd und mit hängendem Kopf durch die Wohnung, brach zusammen, japste keuchend und schien dem Tode geweiht. Der Tierarzt beschied mir, dass seine körperliche Schwäche so weit war, dass jedweder Eingriff unmöglich sei (er würde höchstwahrscheinlich keine wirksame Narkose überleben), und ich mich darauf gefasst machen müsse, ihn zu verlieren. Er bekam vom Arzt Medikamente, Beruhigungsmittel und von mir und denjenigen meiner Freunde, die ihn kannten jedwede Hoffnung, die wir aufbieten konnten.

Und am nächsten Tag stand er vor meinem Bett, miaute, und verlangte Futter. Er war zurück. Ich hatte meinen geliebten Problemkater wieder, und war dankbar, ohne zu wissen, wem eigentlich. Zweieinhalb weitere Jahre war Felix Teil unserer Leben. Er wurde immer schwächer, wog letztlich keine zwei Kilogramm mehr, und mittlerweile ließ selbst der Raufbold Hide ihn in Frieden. Aber er wirkte glücklich, wenn er in seinem kleinen Schlafzimmer (einem Regalfach mit Decken drin) lag, wenn er sich ein Leckerli verdiente oder gestreichelt wurde. Es schmerzt mich, dass ich ihn nicht so oft verwöhnen konnte, wie ich es gern gehabt hätte – noch immer war er kein Kater, der gern kuschelte, und mit steigendem Alter ließ seine Körperhygiene letztlich stark nach. Aber er schätzte Zuneigung – besonders Stefan, einer meiner besten Freunde, schien es ihm angetan zu haben. Bei Stefan kroch er oft bereitwillig auf den Schoß und döste dort. Es gibt keinen anderen Menschen, bei dem er das jemals freiwillig getan hat.

Unscharf und hektisch fotografiert, aber doch rührend: Hide putzt Felix.

Einmal beobachtete ich Hide, wie er Felix‘ von Futterresten verdrecktes Gesicht sauberleckte (mittlerweile reinigte ich ihn oft mit warmen Tüchern und ganz vorsichtigen Bädern). Dieses Bild rührte mich zu Tränen – Hide, der freche Draufgänger meiner Katzen-Clique, schien zu wissen, das Felix nicht nur Hilfe brauchte, sondern auch das Wissen, gemocht zu werden. Selbst von Hide, mit dem er sich so oft geprügelt hatte.

Heute ist der 23. Mai 2017. Erst vor kurzem habe ich den alten Impfpass von Felix gefunden, und endlich das Datum seines Geburtstages herausgefunden. Bisher feierte ich diesen am 1. Mai, weil ich nur wusste, dass Felix im Frühjahr geboren wurde, und weil ich es amüsant fand, den Tag der Arbeit für dieses pflegeintensive Tier zum Geburtstag zu bestimmen. Nun weiß ich: Felix wäre am heutigen Tage achtzehn Jahre alt geworden.

In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag hatte Felix wieder einen Zusammenbruch wie zweieinhalb Jahre zuvor. Diesmal war sein geschwächter Körper nicht mehr in der Lage, das Schicksal zu besiegen. Er verstarb am Mittag des 18. Mai in meinen Armen, begleitet von Svenja, Stefans Freundin, und dem von mir hochgeschätzten Tierarzt-Team.

Die Frage, ob Felix ein gutes Leben hatte, wird niemand jemals beantworten. Ich habe getan, was in meiner Macht stand, auch wenn es mich selbst oft an die Grenzen brachte. Er wurde geliebt, von mir, von vielen meiner Freunde, von meiner Verwandtschaft, und von seinen beiden Stiefbrüdern.

Felix führte ein Leben, das ihm Schwäche oft nicht erlaubte. So schließt sich der Kreis, und ich fühle mich ihm wieder ganz nahe und verbunden. Er lebt in mir weiter. Felix hat gekämpft, länger als irgendwer für möglich gehalten hat. Ich will meinen eigenen Kampf gegen die Widrigkeiten des Lebens so führen wie er. Mit ihm für immer an meiner Seite.

Ich liebe Dich, mein Freund.

23. Mai 1999 – 18. Mai 2017

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