Forever Love, oder: Der Kater aus dem Handtuchschrank

Im November 2019 ist mein Kater Hide gestorben, einst benannt nach dem Gitarristen der Heavy-Metal-Band X Japan. Ich habe hier schon ein Jahr zuvor vom Tod seines Bruder Kafka erzählt, doch bei Hide habe ich es monatelang nicht geschafft, mich zusammenzureißen, und auch auf ihn einen angemessenen Nachruf zu schreiben.

Warum? Kafka und Hide waren ein ein Team wie Micky und Goofy, wie Pinky und Brain, wie Batman und Robin. Während Kafka mit seiner weisen, ernsten Ausstrahlung es mir leicht machte, schöne, traurige Worte zu finden, wusste ich nicht, wie ich mit dem Tod meines immer fröhlichen, gemütlichen, naiven und zu Albernheiten neigenden Hide umgehen sollte. Es erschien mir unpassend, große Worte zu nutzen, doch für drollige Anekdoten aus seinem beschaulichen Katzenleben war der Schmerz wiederum zu frisch.

Einmal, vor vielen Jahren, saß ich in der Badewanne, als Hide hereinkam. Ich hatte ungewollt die Tür aufgelassen, und aufgrund meiner Lage konnte ich ihn nicht rausscheuchen. Er ließ sich von mir auch gar nicht beirren, sondern tappte zum Schrank mit den Handtüchern – einem dieser abschließbaren Metallschränke, bei denen man den Schlüssel steckenlässt. Hide, dieser moppelige Kater, der meistens einen eher naiven Eindruck machte, biss kurzerhand in den Schlüssel, drehte den Kopf, und schloss auf. Dann kletterte er in den Schrank, machte es sich auf den frischen Handtüchern gemütlich, und als ob das nicht schon überraschend und beeindruckend genug war, zog er die Metalltür von innen mit der Pfote zu. Nie zuvor hat mich eine Katze in so fassungsloses Erstaunen versetzt.

Hide war ein lustiger Kater. Manchmal stolperte er über seine eigenen Pfoten, kullerte schlafend vom Bett oder Sofa, oder rannte seinen Bruder um. Und genau den liebte er über alles, ich glaube, es ist kein Zufall, dass Hide ab dem Zeitpunkt, da Kafka tot war, körperlich ebenfalls langsam, aber sichtbar abbaute. Ein paar Herz- und Schilddrüsenprobleme hatte er ohnehin, und trotz guter Pflege und teurer Medikamente wurde aus dem fröhlichen Dickerchen nach und nach ein ruhiger, pflegebedürftiger, melancholischer Kater, dessen Anblick mir mehr als nur einmal einen Stich versetzte. Bis zum letzten Tag, als seine Organe versagten, war er liebevoll und kuschelig, schlief immer an meiner Seite neben meinem Kopfkissen und schnurrte mich freundlich an.

Seit Hide tot ist, treibt mich der Gedanke um, ihm und meinen anderen Katzen ein Denkmal zu setzen. Ich bin kein Künstler, und daher habe ich noch keine Ahnung, wie ich das bewerkstelligen soll, was beispielsweise Current 93, Samsas Traum oder Makoto Kobayashi geschafft haben. Doch irgendwann, irgendwie werden Hide und die anderen unsterblich werden. Irgendeine Idee werde ich irgendwann haben.

Bis dahin gedenke ich dem lieben, kleinen Kater Hide, der fünfzehn Jahre lang an meiner Seite war. Wenig in meinem Leben hat soviel Freude und Fröhlichkeit verbreitet wie er.

Rezension: „Es – Kapitel Zwei“

Am Ende geht es immer um Schmerz, Angst, Traumata. Die Dinge, die wir hinter uns gelassen, aber nie ganz verarbeitet haben. Die Monster, die uns Böses angetan haben, und dabei freundlich lächelten. Menschen, keine bösen Fantasiegestalten.

Das Wesen, dass der Club der Verlierer nur „Es“ nennt, ist eine übernatürliche Kreatur, die sich von Angst ernährt. Im Kontext des Romans und seiner Verfilmungen ist „Es […] der dunkle, unzugängliche Teil unserer Persönlichkeit; […] und das meiste davon hat negativen Charakter, lässt sich nur als Gegensatz zum Ich beschreiben. Wir nähern uns dem Es mit Vergleichen, nennen es ein Chaos, einen Kessel voll brodelnder Erregungen.“ Es würde mich wundern, wenn Stephen King bei der Konzeption seines auch in Bezug auf die Seitenzahl monströsen Romans nicht auch an das Strukturmodell der Psyche von Sigmund Freud (oben zitiert nach Wikipedia aus Neue Folge der Vorlesungen) gedacht hätte. Nun möchte ich mich nicht in psychoanalytischen Betrachtungsweisen verheddern – dafür fehlt mir schlicht der Sachverstand. Es fällt jedoch schwer, Freud auch nur oberflächlich zu lesen, ohne offenkundige Parallelen zu Pennywise, dem tanzenden Clown zu entdecken.

Doch wo Pennywise je nach Betrachtungsweise ein psychologisches Konstrukt oder einfach nur ein imposantes Film-Monster ist, offenbart sich der wahre Horror in der Realität, in jenen Dingen, von denen wir wissen, dass sie Tag um Tag da draußen geschehen. Ein Mann wird aus purem Schwulenhass brutal zusammengeschlagen und zum Sterben im Fluss zurückgelassen. Kinder verprügeln und beleidigen einander, Hautfarben, Religionen, Geschlecht und Gender werden zur vorgeschobenen Begründung, warum dieser oder jene in der Nahrungskette der Gesellschaft oben oder unten verortet wird.

Die sieben Kinder, die sich Club der Verlierer nennen, sind im zweiten Teil der modernen Neuverfilmung von Es erwachsen geworden. Sechs von ihnen haben ihre Heimatstadt verlassen und vergessen, und sind erfolgreich geworden. Da ist ein Model und ein Anwalt. Ben, der dicke, unbeholfene Ben, ist ein attraktiver Star-Architekt geworden, der stark an Robert Downey Jrs.s Figur Tony Stark aus Iron Man erinnert. Richie, das Schandmaul mit den Penis- und Deine-Mutter-Witzen, ist ein beliebter Comedy-Star. Und doch sind die Narben der Kindheit noch da – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn.

Was King in seinem Roman geschickt vermischt – nämlich die beiden Zeitebenen der Kinder und der Erwachsenen, muss für die Struktur als Film-Zweiteiler einem etwas lineareren Aufbau weichen. In Teil 1 erfuhr man vor zwei Jahren, wie die Kinder Es fast besiegt hätten, und ihm entkommen sind. Kapitel 2 erzählt nun, was ihnen 27 Jahre später widerfährt, als sie aufgefordert werden, ihrem Schwur Folge zu leisten, und an den Ursprung ihrer verdrängten Ängste zurückzukehren.

Es ist eine Freude, die zwei mal sieben Schauspieler in den Rollen der (Ex-)Außenseiter zu sehen. Schon die Kinder (darunter Finn Wolfhard aus Stranger Things) wussten zu begeistern, und ihre erwachsenen Pendants sind faszinierend anzusehen, so ähnlich sind sie den Kindern sowohl in ihrem Äußeren als auch in Verhalten, Mimik und Gestik. Die Illusion, dass dies ein und dieselben Personen sind – man kauft sie dem Film sofort ab. Die Kinder indes sind – mit aufwendigen Computertricks digital verjüngt – in einigen neuen Rückblenden zu sehen. Indem sich die Charaktere im zweiten Teil nun an weitere Kindheitserlebnisse erinnern, die im ersten Teil gar nicht zu sehen waren, wird zudem wenigstens ein bisschen an die ursprüngliche Romanstruktur mit ihren spielerischen Übergängen zwischen den Zeitebenen erinnert.

Sechs der sieben Verlierer. V.l.n.r.: Richie, Beverly, Bill, Eddie, Mike, Ben.

Etwa ab der Hälfte jedoch beginnt der Film, mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Verlierer müssen sich aufteilen und jeder für sich ein Artefakt aus ihrer Vergangenheit finden. Einen alten Liebesbrief, ein altes Spielzeug oder der gleichen. Eine episodische Erzählweise folgt, die zwar einige der stärksten Szenen beherbergt, und im Roman maßgeblich für die Ausgestaltung der Charaktere ist, in der Verfilmung jedoch streckenweise zäh wird. Dass Ben sein Artefakt als einziger nicht suchen muss, weil er es seit 27 Jahren in der Geldbörse verwahrt, wirkt fast, als hätten auch die Filmemacher versucht, diese Passage irgendwie doch noch zu beschleunigen. Während Beverlys Rückkehr in ihre alte Wohnung und das Treffen mit dem als alte Frau getarnten Monster (bekannt aus dem Trailer) noch beeindruckt, schleicht sich danach der Eindruck ein, dass Es auch als Netflix-Serie hätte funktionieren können – teilweise vielleicht besser.

Zumal, der massiven Laufzeit von fast drei Stunden zum Trotz, viele Elemente der Vorlage fehlen. Speziell die jeweiligen Ehepartner von Bill (eine Schauspielerin) und Beverly (ein sie missbrauchender Gewalttäter) haben im Roman grundlegende Bedeutung bis hin zum großen Finale, während sie hier zur Staffage reduziert wurden – eine Kritik, die ich beim ersten Teil schon in Bezug auf die Figur des Patrick Hockstetter geäußert habe.

Und dann das große Finale: Der Kampf gegen die eigene Angst, ein „Kampf der Willenskraft“. Die Metaphorik ist nicht schwer zu entschlüsseln: Es fällt leicht zu verstehen, dass die Verlierer mit dem geifernden Monster vor allem die Dämonen ihrer Kindheit bekämpfen. Letztlich ist es das Mantra „Es ist nur ein Clown! Nur ein lächerlicher Clown!“, das ihnen den Sieg bringt – keine magische Waffe, kein göttlicher Beistand.

Für die Filmemacher ein Spagat: Während der Roman abstrakte Bilder heraufbeschwört vom haltlos durchs Weltall trudelnden Bill, der sich mit Maturin, der alten Schildkröte gegen den Millionen Jahre alten Weltenverschlinger stellt (nebenbei: „Maturin“ – kann man noch offensichtlicher machen, was hier passiert?), bemüht die alte Verfilmung von 1990 einen Kampf gegen eine jämmerlich mit praktischen Filmtricks zusammengeschusterter Riesenspinne, die seit vielen Jahren für die meisten King-Fans ein Quell der Lächerlichkeit und der Hauptgrund für die eher ablehnende Haltung jener Verfilmung gegenüber ist. Nebenbei: Die Audiokommentare des alten Films enthüllen zumindest, dass auch die Macher das Vieh eher peinlich fanden.

In Es – Kapitel 2 wird der große Endkampf leider auch zu einem eher hollywood‘esken Spektakel, in dem der eigentliche Kern des Bannrituals nur eine untergeordnete Rolle spielt. In aller Fairness: Eine wirklich dem Roman gerecht werdende Visualisierung wäre sicherlich derart abstrakt geworden, dass ein Großteil des Publikums rebelliert hätte. Kennt jemand die Anime-Serie Neon Genesis Evangelion? Deren Ende ist eine ganz fantastische bildliche Umsetzung von Selbstüberwindung und psychischen Erkenntnisprozessen, wie sie auch Vorbild für Es hätten sein können – wurde jedoch von den meisten Zuschauern kritisiert, die eben lieber kämpfende Riesenroboter sehen wollten.

Zwei weitere kontroverse Aspekte sollen nicht unerwähnt bleiben: Richie wird zum Schluss als schwul offenbart. Eigentlich eine schöne Sache, die einige Verhaltensweisen von Richie klarer macht (beispielsweise zögert er in Teil 1 bei der Frage, wovor er am meisten Angst habe etwas – nun weiß man, dass er damals seinen Freunden nicht seine wahre Angst offenbarte). Dennoch hätte ich mir gewünscht, dass Thema stärker in die Handlung zumindest des erwachsenen Richie einzubinden. So bleibt es bei einer rührenden Geste ganz am Ende des Films.

Zum anderen wäre da noch der Humor: Es – Kapitel 2 ist zu witzig. Und das liegt gar nicht so sehr an den vielen markanten Sprüchen und Witzen. Es geht hier um pubertierende Teenager einerseits, und um Erwachsene, die unmittelbar mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert werden und in alte Verhaltensmuster zurückfallen. Eine steter Fluss an Pimmel-Witzen und dergleichen ist da vorprogrammiert und durchaus erstmal okay – wird irgendwann aber einfach zu viel. Auch dass Pennywise (der allerdings deutlich seltener in der reinen Clownsgestalt auftaucht als im ersten Film) seine eigenen, verqueren Witze macht – geschenkt. Warum die Filmemacher jedoch an sich ernste Szenen wie etwa den Kampf zwischen Eddie und dem Leprakranken mit lustiger Musik zu einem billigen Lacher machen und regelrechte Slapstick-Szenen (Drücken, nicht ziehen!) einbauen mussten, erschließt sich beim besten Willen nicht.

Zwischen Horror und Groteske: Bill auf dem Jahrmarkt – mit Clowns im Tim-Curry-Stil.

War ich von Es zwei Jahre zuvor noch rundherum begeistert, so kann ich nicht umhin, an Kapitel 2 einige Enttäuschungen festzustellen. Auf viele starke, berührende oder schockierende Szenen kommen unangenehm alberne Momente, und vom großen Finale hätte ich mir mehr Mut zu einer abstrakteren, krasseren Inszenierung gewünscht. Doch bleibt unterm Strich eine gut gelungene Verfilmung, der es überwiegend sehr gut gelungen ist, aus dem 1200-Seiten-Roman ein etwa fünfstündiges Film-Event zu machen.

Was bleibt, ist trotz allem eine frohe Botschaft: Mut zu finden ist eigentlich gar nicht so schwer, wenn man sich nichts zutraut – denn man hat ja auch nichts zu verlieren. Die Dämonen sind besiegbar – wenn man sich ihre Existenz eingesteht, und den Kampf aufnimmt. Auch im Angesicht von blutigen Morden, tragischen Lebensgeschichten und schrecklichen Traumata ist Es eine zutiefst positive, lebensbejahende Geschichte. Kaum ein Kampf kommt ohne Opfer und Verluste aus, doch am Ende steht eben die Erkenntnis, dass er nun einmal gekämpft werden muss – und gewonnen werden kann.

Auf einem Skateboard kann man nicht vorsichtig sein.

Es – Kapitel 2 läuft seit dem 5. September 2019 im Kino.
Es (Kapitel 1) ist in verschiedenen Heimvideoformaten und als Video on Demand verfügbar, für Es – Kapitel 2 ist die Heimvideo-Veröffentlichung für den 23. Januar 2020 geplant.

Noël

Und wieder sehe ich das kleine Kerlchen an, dass da so selbstbewusst, aber auch etwas verträumt auf meinem Sofa liegt. Ungefähr zwei Jahre soll er alt sein, schätzt man. Wissen kann man es nicht, denn alles, was Noël bis zur Weihnachtszeit 2018 erlebt hat, wird für immer ein Geheimnis bleiben.

Fest steht, dass er kurz vor dem Fest an einer Futterstelle des Vereins Artemis – Streunerhilfe in Marousi auftauchte. In diesem Vorort von Athen, Griechenland, so viele hundert Kilometer von hier entfernt, suchte er ein Plätzchen zum Schlafen und etwas Futter. Niemand weiß, wo er herkam und was er bis dahin erlebt hat. Er scheint den Mitarbeiterinnen des Vereins zu freundlich, zu naiv, um ein erfahrener Streuner zu sein – auch sein gepflegter Zustand weist darauf hin, dass der kleine, etwas dicke Kater ausgesetzt wurde. Wie er heißt, wann er geboren wurde – niemand weiß es. Zumindest kann man aufgrund seines Zustandes und seiner ungewöhnlichen Freundlichkeit und Anhänglichkeit davon ausgehen, dass es ihm dort, wo er herkam, nicht schlecht ging. Ob sein gelegentliches, etwas unappetitliches Niesen der Grund war, ihn auszusetzen, ob jemand seiner einfach überdrüssig wurde, oder ob es halbwegs vernünftige Gründe gab, sich von ihm zu trennen, wird ebenfalls ein Geheimnis bleiben – so oder so hätte allerdings auch der nachvollziehbarste und vernünftigste Grund, sein Haustier abzugeben kein kommentarloses Aussetzen gerechtfertigt.

Etwa zu selben Zeit betrauerte ich meinen Kater Kafka, bei dem Mitte Dezember mehrere Geschwüre diagnostiziert wurde, und der durch den Bastard Krebs buchstäblich von einem Tag auf den anderen aus dem Leben gerissen wurde. Schon Jahre vorher hatte ich beschlossen, einem neuen Kater oder einer Katze ein Zuhause zu geben, wenn eines Tages nur noch eines meiner Tiere übrig sein würde. Dieser Moment war mit Kafkas Tod gekommen. Der Verein Bochumer Katzenhilfe erschien mir als sinnvoller Ansprechpartner – ich wollte das Tier nicht einfach nach meinem persönlichen Geschmack auswählen, sondern ein Tier empfohlen bekommen, das Hilfe braucht, und gut zu Hide und mir passen würde. Dort vermittelte man mich an Artemis weiter. Der Verein arbeit seit 2013 in Marousi und konzentriert sich vor allem darauf, die dortige hohe Population an Streunerkatzen mit einem Kastrationsprogramm in den Griff zu kriegen. Zudem werden immer wieder Katzen, die aufgrund von Krankheiten, Behinderungen oder ganz allgemein ihres Wesens nicht für das Leben auf der Straße geeignet sind, aufgenommen, gepflegt, und vermittelt.

Zwei Katerchen kamen in Frage: Noël und Dionysos. Letzterer war ein goldiger roter Kater, der Kafka sehr ähnlich sah, und eine kleine Behinderung an der Pfote hatte.

Mich zwischen Dionysos und Noël zu entscheiden war eine der schwierigsten Entscheidungen meines Lebens: Beide Tiere hatten ein gutes Zuhause verdient, und wäre es nicht egoistisch, mich gegen den Kater mit der Behinderung zu entscheiden? Wäre es nicht aber andererseits genauso unvernünftig, mich allein aus Mitleid FÜR ihn zu entscheiden, wenn ich riskierte, seinen Bedürfnissen vielleicht nicht gerecht werden zu können? Das waren die Gedanken, die mir durch den Kopf gingen. Letztlich entschied ich mich, nicht ohne einen Anflug von schlechtem Gewissen, für Noël. Wie man mir sein Wesen und sein Verhalten schilderte ließ mich vermuten, dass er rein charakterlich tatsächlich besser zu Hide passen würde. Außerdem konnte ich ja wirklich nicht sicher sein, ob ich Dionysos die Pflege und Aufmerksamkeit zukommen lassen konnte, die er mit seinem Pfötchen benötigte. Und noch ein Argument war wichtig: Dionysos brauchte noch eine Menge Pflege vor Ort, und würde wohl erst im April oder Mai zu uns kommen – ich wollte aber, dass Hide möglichst schnell wieder Gesellschaft bekommt, so dass er sich nicht ans Alleinsein gewöhnt.

Einige Wochen vergingen noch, in denen ich mit Doris von Artemis in Kontakt stand, immer wieder über Noëls (und auch Dionysos‘) Zustand informiert und mit vielen liebenswerten Bildern und Videos versorgt wurde. Und dann stand irgendwann der Termin fest: Am 25. Februar, dem Tag, den ich später zu Noëls Geburtstag erklären würde, sollte er zusammen mit drei weiteren, teilweise bereits vermittelten Katzen die Reise antreten. Sieben Stunden wurde er in seinem Körbchen zu Fuß, mit dem Auto und dem Flugzeug durch die Gegend transportiert, bis wir uns dann am Düsseldorfer Flughafen zum ersten Mal sahen.

Drei Monate sind seitdem vergangen, und Noël hat sich gut eingelebt. Ich glaube nicht, dass er und Hide jemals ein so enges Verhältnis aufbauen wie es einst Hide und sein Bruder Kafka hatten – aber es klappt mit den beiden immer besser. Sie gehen sich meist noch aus dem Weg, manchmal prügeln sie sich auch ein wenig, aber keiner hat Angst oder Aggressionen dem anderen gegenüber. Manchmal putzen sie einander, manchmal liegen sie aneinandergedrückt auf dem Sofa – und dann fliegen wieder Fellfetzen.

Hide ist jetzt fast fünfzehn Jahre alt. Er hat in den letzten Monaten sichtbar abgenommen, ist aber laut Arzt in einem altersgemäß guten Zustand. Noël niest immer wieder mal, und wird damit vermutlich auch nicht mehr aufhören. Außerdem hat er kleine Deformationen an einer Zehe und seiner Schwanzspitze – beides aber völlig harmlos.

Ich hoffe, uns dreien sind noch einige gemeinsame Jahre beschieden. Und wenn Hide uns irgendwann einmal verlassen muss, werden wir wieder einen Streuner willkommen heißen.

„Marvel Neustart“ im April: Das Beste an Wolverine ist, dass Wolverine fehlt.

Reboots sind im Superhelden-Genre gang und gäbe – diesmal zieh ich’s durch und lese absolut alles, was unter dem aktuellen Label „Marvel Neustart“ veröffentlicht wird. Für die folgenden Zusammenfassungen nehme ich die Perspektive eines Comic-Einsteigers ein, denn für diese sind solche Reboots ja angeblich gedacht …

Jagd auf Wolverine #1

Die Geschichte beginnt damit, dass der berühmte X-Man Wolverine tot ist. Das ist mir ganz willkommen, denn ich mag den nicht. Entsprechend schön ist es, in dem Comic hauptsächlich mit anderen X-Men (Himmel, warum eigentlich immer noch dieser Name, wenn da inzwischen doch eine ganz stattliche Anzahl Frauen mitarbeitet?), den Avengers, Daredevil und anderen in Berührung zu kommen. Die suchen nämlich Wolverines Leiche, die plötzlich verschwunden ist. Neben den Guten sind es noch die Reavers, Cyborg-Kopfgeldjäger, die auf der Jagd sind – und dann tauchen diverse Wolverine-Klone etc. auf. Am Ende haben die Helden diverse Klone bekämpft, Schurkereien verhindert, und kommen zu der Feststellung, dass unter den X-Men ein Verräter sein muss. Das findet natürlich Iron Man raus, weil der einfach der Beste ist.
Wolverine ist aber immer noch verschwunden.

Deadpool #4

Bei einem Auftrag landet Deadpool durch eine Verschiebung des Raum-Zeit-Kontinuums in Weirdworld, wird dort innerhalb einiger Jahre zum großen Helden, verliebt sich, und haut kurz vor einer gigantischen Entscheidungsschlacht ab. Seine Jetzt-Ex Sumpf-Jenny schwört Rache. Da Deadpool all das per Handy berichtet: Hydra hat verdammt geile Akkus.
Und die Cable-Geschichte geht auch weiter, ist aber ein dermaßen unzusammenhängender Blödsinn, dass man geradesogut das Impressum lesen kann.

Spider-Man #5

Spideys Prügelei in der Bar ohne Namen geht weiter – und am Ende erfahren wir, dass Bürgermeister Kingpin unter der Fuchtel eines weiteren Superbösewichts steht.
Danach beginnt eine neue Story, in der eine Diebesgilde allen Marvel-Superhelden ihre Werkzeuge klaut – und plötzlich steht Spidey ohne Netz-Schuss-Apparate da. Ich hab bis dahin ja gedacht, der schießt die direkt aus den Handgelenken. Aber zumindest kann man jetzt ungestraft einen „Spider-Man hat kein Netz“-Witz machen.

Avengers #5

Der große Kampf gegen Lokis Celestials ist vorbei, und die Avengers ziehen um – in den Körper eines toten Celestials am Nordpol. Nunja.
Danach beginnt ein neuer Kampf gegen die Defender Of The Deep – also Fischmenschen. Von denen wurden ein paar von korrupten Fischern getötet. Das missversteht ihr Anführer Namor als Angriff auf sein gesamtes Volk, und erklärt der Welt den Krieg. Irgendwie verständlich, aber der Kerl ist sowas von arrogant, dagegen wirkt Tony Stark wie ein Hippie.

Fazit:

Nicht viel los, diesen Monat. Aber wenn nach vier Heften Avengers schon ein Kampf um das Fortbestehen des ganzen Universums stattfindet, was soll dann noch groß kommen? Warten wir’s ab, ob der nächste Monat spannender wird.

„Marvel Neustart“ im Februar: She-Hulk hat mit Thor geknutscht

Reboots sind im Superhelden-Genre gang und gäbe – diesmal zieh ich’s durch und lese absolut alles, was unter dem aktuellen Label „Marvel Neustart“ veröffentlicht wird. Für die folgenden Zusammenfassungen nehme ich die Perspektive eines Comic-Einsteigers ein, denn für diese sind solche Reboots ja angeblich gedacht …

Waffe H #1

Waffe H ist ein ganz neuer Superheld, der erst vor Kurzem eingeführt wurde, als Nebenfigur in einer anderen Serie. Also um es ganz deutlich zu sagen: Jetzt taucht im Marvel-NEUSTART schon eine praktisch komplett neue Figur auf, und selbst für die muss man irgendwelche früheren Comics raussuchen, um ihren Ursprung kennenzulernen. Au weia. 
 
Aber egal, denn Waffe H ist eine verflucht starke Serie, zumindest dieser Anfang, in dem der Kampfkoloss (bürgerlicher Name: Clay), der aus Genen von Wolverine, Hulk und ein paar anderen Superwesen zusammengeschraubt wurde, durch die kanadische Einöde stapft, Menschen hilft, Monster verkloppt, Doktor Strange trifft und es am Ende dann mit Außerirdischen zu tun bekommt. Am Ende taucht dann Captain America auf, und das ganze droht, von einer coolen Einzelgänger-Haudrauf-Story wieder auf das bunte Marvel-Gruppenkuscheln zusammenzuschrumpfen. Hoffentlich kriegt der nächste Band die Kurve. 

Champions #1

Wenn’s erfolgreich ist, mach eine Kinder-Version. Was bei den Muppet-Babies klappt, kann man auch erfolgreich auf Superhelden anwenden, also taucht hier jetzt eine Truppe aus pubertären Nervensägen auf, die Freitags die Schule schwänzen, um Superbösewichte zu verwämsen. Okay, das mit den Freitagen ist gelogen, bringt das „Eigentlich haben sie Recht, aber den Erwachsenen gehen sie trotzdem auf den Keks. Schon blöde, wenn die Kinder mehr kapieren las man selbst“ gut auf den Punkt. Entsprechend geht auf ziemlich vielen Seiten auch um Diskussionen zwischen den Champions und der Superhelden-Organsiation Alpha Flight, die die Szene sinngemäß mit „Hallo Kinder!“ Betritt und sich instantan unbeliebt macht. 
 
in den Storys geht es dementsprechend auch mehr um Umweltschutz, Gleichberechtigung und so weiter als in allen bisherigen Serien. Und vor allem die erste Story ist wirklich gut, denn sie wartet ihrerseits mit einem Bösewicht auf, dessen Intention, die globale Erwärmung zu stoppen, ja an sich ne gute Sache ist. Aber der Name Master Of The World ist scheiße, selbst für einen Bösewicht, der sich dem Umweltschutz verschrieben hat. 

Deadpool #2

Die Cable-Story nervt. Rumdiskutiererei mit den Eternals, mit überwiegend unverständlichem metaphysischen Gesabbel. Aber das hat Tradition, früher wurde die erfolgreiche Deadpool-Heftserie auch immer mit einem eher lahmen Regalpenner zusammengelegt. 
 
Viel wichtiger: Bei Deaddy gibt’s jetzt die ersten Überschneidungen zwischen den Serien. Denn er bekommt jetzt auch mit einem der Celestials aus der Avengers-Serie zu tun. Weil wir hier aber über Deadpool reden, ist dessen Waffe kein krasser Laser oder sowas – er kotzt. Er reihert die ganze Stadt voll, während Deadpool (nicht ohne blutigen Streit vorab) von den Avengers angeheuert wird. So wird das jetzt langsam mal was mit der Querverbindung zwischen den Serien. Fein. 

Bruce Banner – Hulk #1

Wie auch Waffe H ist Hulk eine der wenigen eher düsteren, ernsten Storys bisher. Man könnte sogar von Horror-Elementen reden, wenn der Hulk durch die Nacht streift, gegen einen ehemaligen Kumpel kämpft, der sich Hulk-ähnlich in den Sasquatch verwandeln kann, und in der letzten Szene in einen Spiegel schaut, und seinen eigenen Vater sieht, der an Bruce Banners Hulk-Leben ja gar nicht so unschuldig ist. Außerdem gibt’s ein paar geile zeichnerische Ideen, zum Beispiel Gastzeichner für bestimmte Segmente, die aus der Sicht von zivilen Zeigen erzählt werden. 
 
Aber das Allerwichtigste, Beeindruckendste, Tollste, Schönste, Umwerfendste: Dieser Comic hat keinerlei unerwarteten Auftritte von Figuren, die nicht dazu gehören. 

Avengers #3

Langsam kommt Schwung in die Sache! Loki erzählt die ultimative Origin-Story von ALLEN, den in seiner Theorie entstanden sämtliche Superhelden jedweder Art aus dem Ur-Celestial, der seit Millionen von Jahren vor sich hinmodert. Vermutlich stimmt das nicht, aber es klingt ganz spannend. Jedenfalls haben sich jetzt endlich mal alle gesammelt (inklusive Alpha Flight, die den Kindergartendienst bei den Champions wohl unterbrochen haben), und die Klopperei kann losgehen. 
 
Oh, und She-Hulk hat mit Thor rumgeknutscht. 

Spider-Man #3

Noch ein Bösewicht mehr: Medel Stromm, ein Maschinenmensch, der sich glücklicherweise seiner eigenen Unbedeutung im Marvel-Universum bewusst ist. 
 
Können wir einen Moment inehalten, um zu reflektieren, was für ein zutiefst beschissener Name Mendel Stromm ist? Danke. 
 
Na, der hat jedenfalls mit Hilfe der Celestials (siehste? Querverbindungen! Das bringt Auflage!) den Kampf gegen Spidey aufgenommen, der immer noch von Peter Parker getrennt ist. Am Ende fusionieren die beiden aber wieder, und der wieder erstarkte „Peter-Parker-Spider-Man“ rettet den Tag. 
 
Im letzten Panel taucht dann ein Mann mit Steinzeit-Klamotten auf. Weiß der Teufel, was der will. 

Fazit:

Teilweise kommt jetzt also Schwung rein. Wie sich die Celestials aus ihrer Avengers-Story nun in die Geschichten von Spidey und Deadpool mischen, gefällt. Das ausgerechnet Hulk und ein Pseudo-Hulk die bisher intelligentesten Geschichten und spannendsten Charaktere bieten, überrascht. Und dass die Champions bei all ihrem pubertärem Auf-den-Sack-geh-Faktor irgendwie ja doch Recht haben, das nervt.

„Marvel-Neustart“ im Januar: Vier Spider-Männer und ein Einhorn

Reboots sind im Superhelden-Genre gang und gäbe – diesmal zieh ich’s durch und lese absolut alles, was unter dem aktuellen Label „Marvel Neustart“ veröffentlicht wird. Für die folgenden Zusammenfassungen nehme ich die Perspektive eines Comic-Einsteigers ein, denn für diese sind solche Reboots ja angeblich gedacht …

Peter Parker – Der spektakuläre Spider-Man #1

Neustart: Das verspricht einen einsteigerfreundlichen Comic, in dem dem geneigten Leser die Figuren doch zumindest kurz erklärt werden – wenn man nicht sogar in den Luxus einer ordentlichen Origin-Story kommt. Aber Pustekuchen: Hier geht’s direkt volles Pfund ins Gemüse: Spider-Man macht ne Zeitreise; kämpft gegen den grünen Goblin; hat ne Freundin (Gwen Stacy); diskutiert mit seinem Vergangenheits-Ich und verbreitet allgemeine Verwirrung für jeden, der kein Marvel-Wiki in Griffweite hat. Und ohne Scheiß: Dieser Comic hat auf fast jeder Seite eine Fußnote á la „Um diesen Satz zu verstehen, siehe Heft soundso vom letzten oder vorletzten Neustart!“
Oh, und in exakt einem Panel haut Ms. Marvel einem Schurken eins um die Ohren, ohne auch nur ein einziges Mal vorher oder nachher wieder erwähnt zu werden.

Spider-Man #1

Spider-Man hat ne Freundin (Mary-Jane); hat scheinbar bei seiner Abschlussarbeit geschummelt; wohnt jetzt mit Boomerang zusammen; Mysterio wird von irgendwas freigesprochen und so ’ne komische Echse ist jetzt Lehrer an Spideys Uni.

Dabei ist im Prinzip alles soweit ganz töffte, bis auf eines: Wie passt das alles mit dem Peter-Parker-Buch zusammen? Zeitsprünge? Schon das erste Paralleluniversum? Das wird ja alles noch spaßig …

Avengers #1

Vor Jahrmillionen haben die Steinzeit-Avengers riesige Weltraumriesen, die echt riesig sind, getötet; und in der Gegenwart tauchen plötzlich wieder welche auf. Die Avengers sind überfordert, aber guter Dinge.

Deadpool #1

Deadpool will wieder ein böseres Image haben und verwämst einen Haufen Rocker. Nackt mit einem Plüscheinhorn über’m Lümmel. Cable legt sich mit ’ner krassen Braut von den Externals an. Als er gerade denkt, er hat sie besiegt, holt sie ihre Kollegen.

Thor #1

Thor verkloppt Leute, weil ihm keiner glaubt, dass er’s noch drauf hat. Dann heiraten welche und Thanos taucht auf und macht einen auf dicke Hose. Zwischendurch reden alle unverständliches Zeug und Loki muss helfen, obwohl ihn keiner mag.

Tony-Stark – Iron Man #1

Tony hat sich selbst wieder zusammengebaut, nach dem er bei irgendeinem vorherigen Reboot des Marvel-Universums offenbar kaputt gegangen ist. Dann greift auch direkt ein riesiger Drache auf, woher der kommt oder was er will, interessiert aber keinen. Wichtiger ist, dass Tonys Roboter-Kollegin gerne menschlicher sein möchte, ein Bösewicht Menschen mit einer gehackten Dating-App manipuliert und Tonys Bruder kopflose Kühe (im wörtliche Sinn!) in Zaum hält.

Spider-Man #2

Die Echse ist „die Echse“, also noch ein Superbösewicht. Der aber eigentlich kein Bösewicht mehr ist, sondern eben jetzt Dozent. Und dann passiert plötzlich tatsächlich mal was Krasses: Ein zweiter Spider-Man taucht auf, und Peter erfährt, dass bei einem Unfall im Labor der Uni seine zwei Persönlichkeiten Spidey und Peter voneinander getrennt wurden. Und jetzt hat er Schiss, dass er (Peter) ihn (Spidey) nicht mehr unter Kontrolle hat. Stärke und Verantwortung, das Ding halt wieder. Aber ganz ehrlich: Eigentlich geht’s ihm darum, dass Spidey ihm seine Freundin ausspannen könnte.

Avengers #2

Das Motto der Avengers heißt „Sammeln!“ Und deshalb passiert in diesem Heft auch nix, außer, dass immer mehr Helden zusammenkommen, um was gegen die Celestials zu tun. Wobei viel rumdiskutiert wird, weil sich nicht alle leiden können, und manche gar keine Avengers sein wollen. Aktuelle Aufstellung: Captain America, Thor (kurzhaarig), Iron Man, Black Panther, Doctor Strange, Captain Marvel, Ghost Rider, She-Hulk. Und als Strippenzieher auf der Gegenseite: Loki.

Fazit:

Wenn das Ziel war, Unwissenden einen Einstieg in die wunderbare Welt der Marvel-Comics zu bieten, würde ich sagen: Grandios verkackt. Mit normalen Mitteln kann man einem Außenstehenden jedenfalls nicht vermitteln, warum es in den Serien zwar fast keine Vorstellung der Figuren, Erklärungen der Vorgeschichte und so weiter gibt, wohl aber schon jetzt vier verschiedene Spider-Männer und ungefähr anderthalb Dutzend Bösewichte. Trotzdem: Vor allem Spider-Man (die Heftserie), Deadpool und Iron Man haben einen guten „Start“ hingelegt. Wobei der Start etwa einem Wurf ins kalte Wasser entspricht. Aus einem Flugzeug. Während man schläft.

Mein Kater Kafka

Nie im Leben hatte ich so große Panik wie an diesem Tag im Sommer, als ich abends beim Fernsehen plötzlich merkte, dass ich die Wohnungstür vorhin, nachdem ich aus dem Keller kam, nicht richtig geschlossen hatte. Kafka war ein enorm neugieriger Kater, der immer, wenn man nicht aufpasste, in den Hausflur entwischte. Dort pflückte ich ihn dann ein Stockwerk höher oder tiefer von der Treppe und brachte ihn zurück in die Wohnung. Er blickte mich dann immer auf eine Art an, die mir wohl klar machen sollte, dass er schon groß sei und durchaus selbstständig das Haus erforschen konnte.

Jetzt war die Tür seit einer halben Stunde auf, und Kafka verschwunden. Ich wusste nicht, ob zwischendurch ein Nachbar eine Haus- oder Hoftür geöffnet hatte – und ich wusste, dass zumindest einer meiner Nachbarn mir ganz sicher nicht Bescheid sagen würde, wenn das Tier an ihm vorbei auf die Straße gelaufen wäre. Ich habe in meinem Leben Bekanntschaft mit Ängsten und irrationalen Zuständen gemacht, doch nie zuvor war die Panik so groß und gleichzeitig gut begründet wie dieses Mal. Denn dies war keine irrationale Angst vor Menschen, sozialen Situationen, vor dem Versagen oder dem Alleinsein, sondern die ganz konkrete Angst, dass Kafka verschwunden war, und sich da draußen nicht im Geringsten zurecht finden würde.

Nach einer Stunde, in den ich jedes Möbel leergeräumt hatte (falls er doch noch in der Wohnung sein sollte), mit jedem Nachbarn gesprochen und die umliegenden Gärten abgesucht hatte, fand ich ihn in einer der hintersten Ecken des Kellers hinter einem Stapel Gerümpel. Die Erleichterung war grenzenlos, und ich war mir sicher, nie wieder so viel Angst um eines meiner Tiere haben zu müssen.

Vor vierzehneinhalb Jahren beschloss ich, eine Katze bei mir aufzunehmen. Kurz zuvor hatte ich ein Kaninchen, dass ich jedoch Allergie-bedingt abgeben musste. Nun sollte es eine Katze werden. Naiv und ohne echte Katzenerfahrung waren damals noch Kleinanzeigen meine erste Anlaufstelle, und ich fand einen Wurf von Kätzchen zum Verkauf. Ich erinnere mich noch an die Wohnung, in der mich zunächst ein großer, freundlicher Husky begrüßte. Die Kätzchen befanden sich in einem dunkelbraunen Körbchen – ein Haufen winziger, wenige Wochen alter Tierchen mit mickrigen Schwänzchen, unbeholfenen Bewegungen und einer aufmerksamen, braun getigerten Mutter mit platter Nase. Die Mutter war ein Perser-Mischling, und an den Kleinen zeigte sich das Erbe dieser Rasse an dem ungewöhnlich fluffigen Fell – die typischen Perser-Gesichtszüge hingegen fehlten den Kätzchen. Der Vater war ein Nachbarskater, über den niemand viel wusste – Geschichten, wie sie sich für kitschige Katzenromane eignen, in der Wirklichkeit jedoch die Naivität von Menschen offenbaren, denen nicht bewusst ist, wie sehr die Spezies unter Überpopulation leidet und wie viel Schaden das Vermehren, Züchten und Verkaufen anrichtet. Ich war selber nicht weniger naiv. Später beschloss ich, sollte ich jemals eine neue Katze haben wollen, diese nur aus einem Tierheim oder ähnlichem zu holen.

„Die sind alle schon verkauft, bis auf die zwei Roten. Die wollte bisher keiner. Na, dann suchen Sie sich mal einen aus.“

So begann es, und ich lernte zwei der wichtigsten Wesen kennen, die je mein Leben bereicherten. Provisorisch hatten „die beiden Roten“ von den Besitzern die Namen Tweety und Bigfoot bekommen, ich nannte den wachen, aufmerksamen Kater Hide (sprich „Hi-De“, nach dem Gitarristen meiner damaligen Lieblingsband „X“), und seinen schüchternen, ängstlichen Bruder Kafka (nach dem Schriftsteller). Ohne es zu merken, muss ich die beiden jedoch irgendwann in den ersten Wochen verwechselt haben – und erst Jahre später wurde mir anhand von Fotos bewusst, dass der, der ursprünglich Kafka heißen sollte nun Hide hieß – und umgekehrt.

Kafka und Hide hatten in den Jahren, die folgten, viele Spitznamen. Einst konnte ich einer etwas naiven Bekannten über Monate glaubhaft machen, Kafka sei die Abkürzung für Kaffee-Katze, und ich würde ihn nur mit Kaffee füttern. Zusammen nannte ich sie oft die „Rote Miau-Fraktion“. Meine Ex nannte sie die „Mini-Katzen“, selbst dann noch, als Hide zu einem stattlichen, regelrecht fetten Kater wurde.

Am Grab meiner Mutter steht geschrieben, dass man oft erst weiß, was man hatte, nachdem man es verlor. Mit Kafka und Hide ging es mir ähnlich – erst als im verfluchten Jahr 2013 eine hässliche Trennung mich an die Grenzen meiner psychischen Belastbarkeit trieb merkte ich, wie wichtig die beiden tatsächlich waren.

Ich liebte sie beide, und bin froh, dass, während mir durch die Trennung zwar auch finanzieller Schaden zugefügt wurde, zumindest keinerlei Rechtsstreit um die Katzen entstand. Dass meine Ex das Interesse an den beiden im gleichem Maße verloren hatte wie an mir, war der große Glücksfall in dieser Geschichte.

Wie gesagt – ich liebte keinen der beiden mehr als den anderen, und doch hatten sie unterschiedliche Wirkung auf mich. Während Hide sich zu einem gemütlichen, freundlichen, etwas naiven Dickerchen entwickelt hatte, das einen ganz wunderbaren Winnie Puuh abgegeben hätte, umgab Kafka immer die Aura eines wachen, klugen Kämpfers. Ich erkannte ihn wieder in Liedern von Samsas Traum, die von Katzen handeln; in literarischen Katzen wie Spiegel, Echo, Francis oder Feuerherz; ich sah in ihm das, was ich gern sein wollte: Stark, klug, glücklich – ein verlässlicher Partner, ein Bruder, ein Held. Mit dem Bild von Kafkas starkem Blick vor Augen überstand ich Zeiten, in denen es mir unsagbar schlecht ging, das Leben mich ermüdete, in denen ich keine Zukunft zu sehen mehr imstande war.

In einem meiner Lieblingslieder heißt es „Warum sind wir noch am Leben, wenn uns nichts und niemand stützt – weil uns eine Katze mehr als alle Menschen auf der Welt beschützt?“. So wichtig mir die wenigen Familienmitglieder und Freunde, die ich noch hatte, auch waren – es waren meine Kater, die mich davor bewahrten, mich ganz aufzugeben. Und während Hide mir Geborgenheit und Liebe zu vermitteln imstande war, gab mir Kafkas Ausstrahlung Stärke und Optimismus.

Fünf Jahre waren uns nach meiner persönlichen Katastrophe noch gegeben. Jahre, in denen Familienmitglieder und Freunde starben; Versuche, wieder eine Beziehung zu beginnen, scheiterten; mein Kater Felix, den ich einst vor dem Tierheim rettete, starb – und immer war Kafka da und schien mir sagen zu wollen, dass ich auch diesen und den nächsten und den übernächsten Kampf überstehen würde.

Der eine Kampf, der dann doch verloren wurde, war am Ende Kafkas eigener. Anfang Dezember wurde er auffällig schwach und zog sich immer mehr zurück. Da er sich so schon ein paar Mal verhalten hatte, aber jedesmal nur ein verdorbener Magen oder etwas ähnlich Harmloses der Anlass war, dachte ich mir erst nichts dabei, ging nach etwa anderthalb Wochen ohne Besserung dann aber doch mit ihm zum Arzt. Zwei Tage später war er tot, zwei Tage, in denen ich Ängste ausstand, wie sie schlimmer nicht sein konnten.

Es war Krebs. Nichts hatte zuvor darauf hingewiesen, und da er an sich immer ein kerngesundes Tier war, war die letzte allgemeine Kontrolle schon eine Weile her. Zu dem Zeitpunkt, zu dem sich das veränderte Verhalten bemerkbar machte, war es eigentlich schon zu spät. Drei Karzinome – Lymphdrüse, Milz, Darm – waren zuviel, als dass irgendein Arzt noch etwas hätte retten können, zumal das problematischste, jenes an der Lymphdrüse, in Ultraschall und Röntgen nicht sichtbar war und sich erst während der Operation zeigt.

Ich mache mir Vorwürfe, dass ich Kafka, nachdem er seine Narkose bekommen hat, nur noch alles Gute gewünscht habe, er aber nicht in meinen Armen einschlafen konnte. Zumindest lag er in seinem Körbchen, ich aber – mag ich mich noch so sehr als Pessimist geben – war fest davon überzeugt, dass er es irgendwie schaffen würde, und konnte mir nicht vorstellen, dass dies bereits seine letzten Sekunden waren.

Ich bin ein emotionaler, sensibler Mensch, aber ich behalte meine Gefühle meist für mich. An diesem Tag habe ich geschrien. Habe Fäuste gegen Wände geschlagen. Habe geheult. Ich hätte die ganze Welt zertrümmert, würde mir ein gütiger Gott dann meinen Kafka wiedergeben. Doch nichts passiert. Das Universum interessiert sich nicht für einen Jungen, der seinen Freund verliert.

Ich werde das ändern. Es sind nur vage Gedanken in meinem Hinterkopf, aber ich will, dass die Welt von Kafka erfährt. Ich weiß nicht in welcher Form. Ich weiß nicht, wie ich das bewerkstelligen werde. Aber ich kann ein hartnäckiger Bastard sein, wenn ich etwas wirklich will. Im „Letzten Einhorn“ heißt es, es gäbe kein Happy End, weil nichts je endet. Auch nicht Kafkas Geschichte.

Auf Dich, mein lieber Freund. Du hast mir das Leben gerettet, ich werde Dein Andenken bewahren.

Rezension: Es

Es ist kein Buch über ein kinderfressenden Clown.

Steile These? Natürlich kommt dem Monsterclown ein ordentlicher Anteil des etwa 1600 Seiten starken Romans zu. Aber ihn zum Thema des Buches zu erklären wäre, als beschränkte man man Kafkas Die Verwandlung auf einen Mann, der sich verwandeln kann, oder Alice im Wunderland auf eine Aneinanderreihung alberner Kindergeschichten.

Es handelt von Kindheit und Jugend. Von der Angst, die Sicherheit hinter sich lassen zu müssen, von der Konfrontation mit erschreckenden Veränderungen im Leben – an sich selbst wie am Lebensumfeld – und davon, wie wir als Erwachsene eben doch irgendwann all das vergessen oder verdrängen, was uns als Kindern so übermächtig vorkam. Freunde geraten in Vergessenheit, Bekannte verschwinden, das Magische wird albern und das Alberne verachtenswert.

Wovor hast Du Angst? Erwachsene haben Angst vor Hypotheken, Arbeitslosigkeit, Scheidung, Krankheit. Viel ernstere, realistischere Ängste als die von Kindern, aber doch um soviel beherrsch- und berechenbarer als die Angst vorm Schwarzen Mann, vor dem Monster unter dem Bett, vor den Geräuschen im Keller. Erwachsene Ängste sind konkret, kindliche Ängste sind existenziell.

So zumindest habe ich Es verstanden, und so ist es nach dem ersten Lesen zu einem Buch geworden, dass mich in der Summe mehr berührt hat als jedes andere, und das ich mittlerweile eindeutig als meinen Lieblingsroman bezeichnen kann. Dabei habe ich Es erst vor vier Jahren kennengelernt, als ich selbst längst erwachsen war, und die kleinen Ängste der Kinder auch für mich nur noch dunkle Erinnerung waren. Es hat mich an vieles erinnert: Die erste Schwärmerei für ein Mädchen; das Dilemma, Mädchen doch eigentlich doof finden zu müssen; die Überforderung im Angesicht von Gerüchten über Mörder, die einige größere Kinder gestreut hatten; das ganz reale Mobbing der Schulhof-Rowdys.

Schon in der ersten Verfilmung die prägnanteste Szene: George Denbrough im Gespräch mit Pennywise

Dass ich Es erst vor kurzem zum ersten Mal las, liegt dabei nicht an mangelndem Interesse, sondern an der ersten Verfilmung: Der TV-Zweiteiler mit Tim Curry in der Hauptrolle hat zwar seine schönen Momente, reduziert die Geschichte aber viel zu sehr auf die Oberflächlichkeiten. Dazu kommt: Hier ist kaum etwas gruselig. Schon damals wartete ich insgesamt gut drei Stunden darauf, dass nun endlich mal etwas Schreckliches passiert, davon konnte aber kaum die Rede. So sprach mich Es weder über seine Charaktere an, noch konnte das kaum vorhandene Splatter-Element meine jugendliche Sensationsgier befriedigen.

Mittlerweile sieht das etwas anders aus: Meine Ansprüche an Literatur ebenso wie an Filme sind etwas andere geworden, und kurz, nachdem ich Es zum ersten Mal las, folgte die Meldung, dass eine Neuverfilmung im Gespräch sei. Ein schöner Zufall für mich, der seine Meinung über den alten Zweiteiler auch nach der ersten Lektüre des Buches nicht ändern konnte. Vier Jahre später, in denen ich das Buch gleich mehrmals las, ist die Neuverfilmung von Andrés Muschietti nun da, schlägt einen Rekord nach dem anderen, und versetzt mich in die seltsame Situation, dass nun plötzlich alle wieder über das dreißig Jahre alte Buch reden und mich nach meiner Meinung fragen.

Es, wie es jetzt im Kino läuft, ist dabei nur die erste Hälfte der Geschichte. Im Gegensatz zu vielen anderen Kino-Mehrteilern wurde hier nicht back-to-back gedreht – tatsächlich wurde die Produktion des zweiten Teils erst wenige Tage vor Veröffentlichung des ersten beschlossen, und die Dreharbeiten werden erst 2018 beginnen. Wer das Buch kennt, weiß, das in diesem Fall ein Zweiteiler eine durchaus angemessene Lösung ist, und das nicht nur aufgrund des enormen Volumens des Ausgangsmaterials. Die Geschichte von Es teilt sich in zwei Zeitebenen. In der ersten (1958 im Roman und 1989 im Film) treffen sich sieben Kinder, die alle auf ihre Weise Außenseiter sind, die für ihr junges Alter schon zu viel Schlimmes erlebt haben. Sie alle werden mit dem namenlosen Bösen konfrontiert, welches sie Es nennen, nehmen die Herausforderung aber an, und versuchen, Seinem Geheimnis auf die Schliche zu kommen und es zu besiegen. Das alles, während die „reale Welt“ ihnen das Leben nicht einfacher macht: Pubertät, Mobbing, Missbrauch, Rassismus – Alltag für die sieben Kinder. Der zweite Teil hingegen betrachet das Leben dieser Kinder als Erwachsene, die ihre Kindheit und die schrecklichen Erlebnisse vergessen und verdrängt haben – bis ein Anruf eines alten Freundes mit einem Satz alle Narben aufreißt und an ein altes Versprechen erinnert: „Es ist wieder da.“

Der Club der Verlierer kurz vor dem Ziel. Hier haust Es.

Der Roman verbindet beide Zeitebenen durch regelmäßige Sprünge von Kapitel zu Kapitel. Anfangs lässt sich jedes Kapitel dabei noch enorm viel Zeit für Ausschweifungen in die Stadtgeschichte Derrys oder die Familiengeschichten der Protagonisten, später werden die Abstände kürzer, so dass gegen Ende des Buches beide Zeitstränge auf das Finale zulaufen und man als Leser praktisch zwei „große Endkämpfe“ gleichzeitig erlebt. Wo im Buch somit bis zum Schluss nicht ganz klar ist, ob und wie die Kinder Es besiegen, muss die Verfilmung hier ein Spannungselement der Ordnung opfern: Der aktuelle Film erzählt nur die Geschichte der Kinder, und zwar vom Anfang bis zum Ende. Man weiß automatisch, DASS sie es schaffen, nur das „Wie und zu welchem Preis“ bleibt offen. Teil 2, welcher im Herbst 2019 in die Kinos kommen soll, führt ins dann zu den Erwachsenen, und wird in dieser Verfilmung voraussichtlich im Jahr 2016 spielen (Im Roman war es 1985).

Abgesehen von diesem Eingriff in die Erzählstruktur ist die Verlagerung der Ereignisse um einen „Zyklus“ (Es erwacht immer etwa alle 27 bis 28 Jahre) in Richtung Gegenwart zusammen mit daraus resultierenden Änderungen die größte Freiheit, die Muschietti sich mit Kings Roman erlaubt. Änderungen, deren Akzeptanz sicher auch vom Alter der Leser abhängt. King schrieb Es Mitte der Achtziger – in einer Zeit also, in der die Zeitebene der Erwachsenen der Gegenwart seiner Leser entsprach, und er ebenfalls davon ausgehen konnte, dass die Fünfziger Jahre in der Erinnerung seiner Leser noch aktuell wären. Muschietti erreicht das Selbe mit seinem Film und jenen Zuschauern, die eher in den Achtzigern oder Neunzigern Kinder und Jugendliche waren. Ältere Es-Fans mögen vielleicht etwas enttäuscht sein, die meisten Zuschauer dürften den Film jedoch dadurch als angenehm nostalgisch und die kommende Fortsetzung als zeitgenössisch empfinden und sich gut mit seinen Figuren und seiner Welt identifizieren können – etwas, was mit Kings ursprünglichem Roman aus heutiger Sicht nicht mehr ganz so einfach ist.

Die Kinder ändern sich durch knapp drei Jahrzehnte Verschiebung jedoch kaum: Ihre Charakteristika treffen Muschietti und sein großartiges Ensemble größtenteils unbekannter Kinderschauspieler wie die Faust auf’s Auge. Kleinigkeiten ändern sich natürlich: Richie (gespielt von Finn Wolfhard aus Stranger Things) etwa tauscht sein Faible für Stimmimitationen gegen derbe Witze der Kategorie „Deine Mutta!“ – etwas, was ich in fast jedem anderen Film primitiv und unnötig finden würde, hier aber die Art und Weise, wie sich Kinder seines Alters untereinander verhalten, glaubwürdig trifft. Allenfalls könnte man darüber diskutieren, wie verbreitet dieses Genre von Beleidigung Ende der Achtziger in den USA tatsächlich war. Überhaupt: Wenn Richy über ein versifftes Waschbecken bemerkt, es „sieht aus wie die Muschi Deiner Mutter“ und wir Erwachsenen im Publikum schockiert sind, laufen wir direkt in die Falle, und sind selbst der beste Beweis dafür, dass man als Erwachsener tatsächlich irgendwann vergisst, wie sich Kinder untereinander verhalten. Schon in Kings Roman fand sich derlei mehr als einmal, etwa wenn George und Bill ganz am Anfang ausgiebig darüber diskutieren, wer von ihnen das größere oder braunere Arschloch habe.

Beverly Marsh, in einer Klokabine versteckt vor ihren schlimmsten Peinigern. Nicht Monstern oder Mördern – sondern Mitschülern.

Auch Beverly ist ein bisschen offener und wirkt aufgeklärter. Insbesondere durch diese beiden Figuren bleibt denn auch eine pubertär-sexuelle Spannung im ganzen Film erhalten – auf ihre Art verbergen schließlich beide ihre Unsicherheit hinter dem selbstbewussten Verhalten. Und Kenner des Romans wissen, dass insbesondere Beverlys kindliche Sexualität eine wichtige Rolle spielt – nur, dass die im Romane sehr explizit gehaltenen Szenen in Muschettis Verfilmung fehlen. Zu Recht – nicht alles, was geschrieben und ausformuliert Sinn ergibt eignet sich an Es für eine bildliche Darstellung.

Der Aspekt „Kinder werden Freunde und erleben ein Abenteuer“ von Es ist also hervorragend getroffen – eine Seltenheit, denn schließlich sind die meisten Geschichten ÜBER Kinder auch Geschichten FÜR Kinder, und daher fast zwangsläufig der Forderung unterworfen, einen gewissen pädagogischen Wert zu haben, den Bösen die Möglichkeit der Läuterung zu lassen, und die Guten als Vorbilder taugen zu lassen. In Es sind die Kinder keine Vorbilder (sondern Identifikationsfiguren), und die Bösen wirklich Böse.

Pennywise in neuer Gestalt – die übrigens deutlich eher der Beschreibung im Roman entspricht als Tim Currys Darstellung

Und Es ist eben Es. Es ist ebenfalls der Zeitverschiebung geschuldet, dass bestimmte Formen des Antagonisten nicht mehr auftauchen, und ein paar hinzukommen, aber die wichtigste Seiner Formen ist ohnehin Pennywise, der Tanzende Clown. Er wird gespielt von dem 27-jährigen Bill Skarsgård, der eine umwerfende Performance abliefert. Mit Tim Currys Darstellung kann man ihn schlicht nicht vergleichen, so unterschiedlich sind die beiden Clowns sowohl optisch wie auch in ihrem Verhalten. Für Fans der ersten Verfilmung also sicherlich eine subjektive Wahl, aber objektiv lässt sich an Skarsgårds Pennywise nicht rütteln. Wann immer dieser genügend Selbstkontrolle hat, um einigermaßen menschlich aufzutreten, gibt ihm Skarsgård eine grauenerregende Mischung aus fröhlichem Clown, kleinen Albernheiten, und einer gehörigen Portion dämonischem Wahnsinn. Und wenn dann, im späteren Verlauf des Films, Es immer mehr monströse Formen annimmt, sorgt guter, nicht übertriebener CGI-Einsatz für den notwendigen Schrecken und Ekel. Zwar weicht insbesondere das Finale deutlich vom Roman ab, dennoch sind alle wesentlichen Elemente vorhanden, bis hin zu einem kurzen Blick auf Sein wahres Ich.

Zugegeben: Ich kann Es nicht ganz objektiv beurteilen – zu sehr liebe ich das Buch, und zu gut gefällt mir diese neue Umsetzung desselben. Dennoch, ganz ohne Kritik habe ich das Kino auch nicht verlassen: Da wäre zum Beispiel die Mitte des Films. Dass Georgies Tod zwar naheliegend, aber (im Gegensatz zur Romanvorlage) nicht bewiesen ist, ist eine gute Änderung, die Bill stärker motiviert. Logisch, dass die Kinder dadurch auch schneller zu dem Schluss kommen, Es bekämpfen zu wollen. Doch irgendwie war mir das im Ergebnis doch etwas zu schnell – ein, zwei Schnitte, schon ist aus ein paar locker bekannten Kindern eine Gruppe geworden, die alte Unterlagen wälzt, und ohne lange zu diskutieren übereinkommt, das namenlose Böse jagen und töten zu wollen. Ein bisschen mehr Mit-sich-ringen hätte ich hier gern gesehen.

Und dann ist da noch Patrick Hockstetter. Im Roman die wahrscheinlich düsterste, böseste Figur. Er begeht Taten, die sogar schrecklicher sind als die von Pennywise – den Patrick wird von keinem Instinkt, keinem Hunger, nicht mal simplem Sadismus getrieben. Er – nicht Es – verkörpert im Roman das reine Böse, neben dem selbst Henry Bowsers verblasst. Im Film ist von Patricks abgründiger Persönlichkeit allerdings kaum noch etwas übrig – er wird auf kaum mehr als einen weiteren Kumpanen von Henry reduziert, und so entgeht dem Film völlig, diese spezielle Art von Bosheit weiter zu erforschen. Wahrscheinlich wäre dafür letztlich einfach kein Platz geblieben – aber dann hätte Patrick dem Film auch ganz fernbleiben können.

Ein Beispiel für die vielen, kleinen Details: Die Wand zeigt die Schießerei der Bradley-Bande, bei der Pennywise schon Anfang des Jahrhhunderts seine Finger im Spiel hatte

Es ist ein wunderbarer Film über eine Kinderfreundschaft in den Achtzigern, über Außenseiter, Mobbing, Missbrauch – all die Dinge, die ein Kinderleben im Guten wie im Schlechten prägen. Und natürlich über ein transdimensionales Monster, dass diese Kinder bekämpfen wollen. Gesellschaftsdrama, Abenteuer, Monsterhorror. Für Fans harter Horror-Schocker mag Es sicherlich zu sanft bleiben (auch wenn die FSK-16-Freigabe gut ausgereizt wird), andererseits kann man Es so auch schauen, wenn man Horror eigentlich gar nicht mag, solange man sich von den anderen Themen des Films angesprochen fühlt.

Ich habe noch eine andere steile These: Dieser Film, der voll mit Grausamkeiten verschiedenster Art ist, ist letztenendes ausgerechnet dieses: ein schönes Märchen über die Macht der Freundschaft.

Es läuft seit dem 28. September 2017 in den deutschen Kinos.
Eine Heimvideo-Veröffentlichung ist für den 22. Februar 2018 geplant.
Der zweite Teil soll am 6. September 2019 folgen.

Die Romanvorlage ist seit 2011 in einer neuen, vollständigen Übersetzung von Joachim Körber und Alexandra von Reinhardt als Taschenbuch im Verlag Heyne erhältlich.
Eine ungekürzte, von David Nathan gelesene Hörbuch-Fassung liegt als Download bei Audible und als CD bei Random House Audio vor.

KATZEN!!!

Katzen! Katzen! Katzen! Katzen! Katzen! Katzen!

Okay, das war jetzt nur ein kleines Testposting, aber was soll’s! Miau! Hier bin ich!