„Marvel Neustart“ im April: Das Beste an Wolverine ist, dass Wolverine fehlt.

Reboots sind im Superhelden-Genre gang und gäbe – diesmal zieh ich’s durch und lese absolut alles, was unter dem aktuellen Label „Marvel Neustart“ veröffentlicht wird. Für die folgenden Zusammenfassungen nehme ich die Perspektive eines Comic-Einsteigers ein, denn für diese sind solche Reboots ja angeblich gedacht …

Jagd auf Wolverine #1

Die Geschichte beginnt damit, dass der berühmte X-Man Wolverine tot ist. Das ist mir ganz willkommen, denn ich mag den nicht. Entsprechend schön ist es, in dem Comic hauptsächlich mit anderen X-Men (Himmel, warum eigentlich immer noch dieser Name, wenn da inzwischen doch eine ganz stattliche Anzahl Frauen mitarbeitet?), den Avengers, Daredevil und anderen in Berührung zu kommen. Die suchen nämlich Wolverines Leiche, die plötzlich verschwunden ist. Neben den Guten sind es noch die Reavers, Cyborg-Kopfgeldjäger, die auf der Jagd sind – und dann tauchen diverse Wolverine-Klone etc. auf. Am Ende haben die Helden diverse Klone bekämpft, Schurkereien verhindert, und kommen zu der Feststellung, dass unter den X-Men ein Verräter sein muss. Das findet natürlich Iron Man raus, weil der einfach der Beste ist.
Wolverine ist aber immer noch verschwunden.

Deadpool #4

Bei einem Auftrag landet Deadpool durch eine Verschiebung des Raum-Zeit-Kontinuums in Weirdworld, wird dort innerhalb einiger Jahre zum großen Helden, verliebt sich, und haut kurz vor einer gigantischen Entscheidungsschlacht ab. Seine Jetzt-Ex Sumpf-Jenny schwört Rache. Da Deadpool all das per Handy berichtet: Hydra hat verdammt geile Akkus.
Und die Cable-Geschichte geht auch weiter, ist aber ein dermaßen unzusammenhängender Blödsinn, dass man geradesogut das Impressum lesen kann.

Spider-Man #5

Spideys Prügelei in der Bar ohne Namen geht weiter – und am Ende erfahren wir, dass Bürgermeister Kingpin unter der Fuchtel eines weiteren Superbösewichts steht.
Danach beginnt eine neue Story, in der eine Diebesgilde allen Marvel-Superhelden ihre Werkzeuge klaut – und plötzlich steht Spidey ohne Netz-Schuss-Apparate da. Ich hab bis dahin ja gedacht, der schießt die direkt aus den Handgelenken. Aber zumindest kann man jetzt ungestraft einen „Spider-Man hat kein Netz“-Witz machen.

Avengers #5

Der große Kampf gegen Lokis Celestials ist vorbei, und die Avengers ziehen um – in den Körper eines toten Celestials am Nordpol. Nunja.
Danach beginnt ein neuer Kampf gegen die Defender Of The Deep – also Fischmenschen. Von denen wurden ein paar von korrupten Fischern getötet. Das missversteht ihr Anführer Namor als Angriff auf sein gesamtes Volk, und erklärt der Welt den Krieg. Irgendwie verständlich, aber der Kerl ist sowas von arrogant, dagegen wirkt Tony Stark wie ein Hippie.

Fazit:

Nicht viel los, diesen Monat. Aber wenn nach vier Heften Avengers schon ein Kampf um das Fortbestehen des ganzen Universums stattfindet, was soll dann noch groß kommen? Warten wir’s ab, ob der nächste Monat spannender wird.

„Marvel Neustart“ im März: Ich glaub, ich bin verliebt.

Reboots sind im Superhelden-Genre gang und gäbe – diesmal zieh ich’s durch und lese absolut alles, was unter dem aktuellen Label „Marvel Neustart“ veröffentlicht wird. Für die folgenden Zusammenfassungen nehme ich die Perspektive eines Comic-Einsteigers ein, denn für diese sind solche Reboots ja angeblich gedacht …

Captain America #1

Puh, was war das denn? Fast der komplette Comic besteht darin, dass Steve Rogers alias Steve Rogers die Geschehnisse der letzten Jahre rekapituliert – aber nur seine Gedanken und Gefühle, nicht etwa eine konkrete Zusammenfassung der Ereignisse. Wenn man das alles nicht gelesen hat (weil man irrirgerweise hinter dem Label „Neustart“ einen solche erwartet hat), kann man letztlich nur mutmaßen. In etwa: Irgendwann hat die Nazi-Truppe Hydra offenbar die USA übernommen, was einige Amis ganz okay fanden, und andere nicht. Dann wurde Hydra zerschlagen, und in den USA sind nun alle gegenseitig aufeinander sauer.  Cap weiß auch nicht so recht, was er davon halten soll, und schließt sich am Ende Wakanda an. Hat aber auch noch was mit den Russen zu tun. Um am Ende scheint der Ober-Nazi Red Skull auch noch zu leben. Ne, ne, ne. Was für ein Durcheinander.

Domino #1

Die Frau ist der Wahnsinn! Domino ist eine Art Söldnerin mit großer Klappe, coolen Sprüchen und gutem Aussehen. Nicht ganz so vulgär wie Deadpool und nicht so in-your-face-mäßig halbnackt wie Harley Quinn – kurzum, sie verbindet perfekt das, was ich an den beiden Figuren toll finde, verzichtet auf das, was ich an ihnen nicht mag, und bringt genug Neues dazu, um nicht wie eine Kopie zu wirken. Im Gegensatz zu ihrer nervigen Cowgirl-Kollegin, aber darüber kann man hinwegsehen.

Eine gute Story bringt ihre erste Serie auch noch – da geht es um Experimente, die als Kind an ihr gemacht wurde, Auftragsmörder, Feindschaften aus Jugendtagen (Superschurkin Topaz stammt aus den selben Menschenexperimenten wie Domino), und die Wirkungsweise ihrer abgefahrenen Superkraft: Sie hat immer Glück.

Und es kommen ein Hündchen UND ein Kätzchen vor!!!

Deadpool #3

Vorweg: Die Cable-Story raff ich immer noch nicht. Jemand bringt Externals um, und Cable udn Co. suchen den Mörder. Trotzdem viel zu viel Geschwurbel, um sich einfach auf eine intergalaktische Mörderjagd einlassen zu können.

Deadpool hingegen erledigt in diesem Heft endlich den großen Kotzer, und es stellt sich heraus, dass der gar nicht zu den Celestials gehört, sondern Deadpool ihn eigentlich selbst herbeigeschafft hat, um ihn besiegen zu können und wieder cool dazustehen. Oh, und es gäbe schon wieder Mr. Pools Schrumpelgemächt zu sehen, wenn nciht weiterhin konsequent Selbstzensur geübt würde. Die Story ist jedenfalls jetzt zu Ende, und Deaddy arbeitet immer noch allein, ohne die Avengers.

Venom #1

Auf den ersten Seiten wird dem Uneingeweihten erstmal ordentlich erklärt, wer (was) Venom ist: Ein Außerirdischer Symbiont, der sich mit einem Wirtskörper (aktuell nach mehreren Wechseln wieder der allererste: Reporter Eddie Brock) verbunden hat, anfangs ein Bösewicht war, aber mittlerweile zum fiesen, aber letztlich auf der guten Seite stehenden Antihelden geworden ist. Und dann ab in die Story: ein böser Drache (ja, echt!) taucht auf, der sich also der ultimative Gott aller Symbionten offenbart (drunter geht’s nicht). Und weil die Avengers gerade mit den Celestials beschäftigt sind, und die X-Men … naja, irgendwas anderes machen, was noch nicht veröffentlicht wurde, muss Venom (der gerade selbst etwas angeschlagen ist) den Kampf fast allein aufnehmen. Nur Miles Morales in seinem schwarzen Spider-Man-Kostüm hilft ihm – jo, damit sind es jetzt schon fünf verschiedene Spider-Männer, die im Neustart-Universum am Start sind oder waren.
Am Ende wird der Bösewicht mit dem drolligen Namen Knull von Venom ordentlich zerknüllt, schwört aber selbstverständlich bittere Rache. Man sieht sich!

Infinity Wars #1

Jetzt wird’s etwas konfus: in den Heften sind die Avengers immer noch mit den Celestials beschäftigt, gleichzeitig bekommen sie hier direkt ein ganz anderes Mega-Event um die Ohren gehauen – noch dazu, ohne dem Neueinsteiger in die Marvel-Welt halbwegs zu erklären, was es eigentlich mit diesen Infinity-Steinen auf sich hat.
Aber gut, man kann sich das ja zusammenreimen: Mit denen kann man die Welt beherrschen, ein Haufen Superhelden beschützen sie, und der dicke Thanos versucht gelegentlich, sie zu erobern. Diesmal wird Thanos aber prompt umgebracht – wie sich später rausstellt, von seiner eigenen Tochter, die eigentlich ’ne Gute sein sollte, jetzt aber wohl selbst die Weltherrschaft will. Und dann entsteht noch ein Paralleluniversum, in dem je zwei Superhelden zusammengeschmolzen werden. Loki rennt da übrigens auch rum, aber wie so oft kann man nicht erkennen, zu welcher Seite er diesmal gehört.

Spider-Man #4

Hätte es kein Vorwort gegeben, würde ich jetzt wieder rummeckern, dass ich die Chronologie nicht verstehe: Die erste Story ist nämlich einfach ein Rückblick in die Zeit, als Venom noch Spidey als Wirtskörper benutzte. Sogar ne recht coole Geschichte, wenn man kurz zuvor den ersten Venom-Band gelesen hat. Hat nur mit der Spidey-Serie eigentlich nix zu tun.
In der eigentlichen Serie ist hingegen nicht viel los, Peter Parker wird von seinem Mitbewohner Boomerang in die Bar ohne Namen, eine Kneipe für Superschurken gebracht, und protzt dort damit rum, dass er alles über Spider-Man weiß. Dumme Idee.

Avengers #4

Zuerst verkloppen die Avengers endlich die Celestials und scheinen sie zu besiegen. Am Ende freut sich Loki darüber, also scheint es noch irgendwie weiterzugehen.
Und dann ist da eine völlig zusammenhanglose Story darüber, wie in prähistorischer Zeit ein Kind der erste Ghost Rider geworden ist – damals mit Mammut statt Motorrad.

Fazit:

Also, der Infinity-Steine-Kram hätte nicht sein müssen. Da wäre es doch schöner, hätte man dieses Event etwas länger aufgebaut und in den verschiedenen anderen Geschichten angedeutet. Aber sei’s drum – das wichtige ist, ich habe Domino kennengelernt, die ab sofort meine Lieblings-Marvel-Figur ist. Hurra!

Nicht ohne meine WarriorCats

Ich habe diesen Beitrag im Mai 2015 als Reaktion auf den letzten Band der vierten Staffel der Jugend-Fantasy-Serie WarriorCats geschrieben.


Insbesondere von meinen literarisch gut ausgebildeten und anspruchsvollen Freunden wurde ich schon oft gefragt, warum ich diese Endlos-Serie immer noch lese und ob es nach gefühlten drölfzighundert Büchern nicht langweilig wird.

Ja und nein.

WarriorCats ist schon lange keine innovative, anspruchsvolle Jugendliteratur mehr. Natürlich ähneln sich die Geschichten, wer wollte das bestreiten? Immerhin sind seit Sommer 2007 in Deutschland nun tatsächlich 24 Hauptbände erschienen – die alle bislang noch in der selben „Ära“ spielen, auch wenn sich der Ort des Geschehen in der Mitte geändert hat. Dazu mehrere Spin-Offs in Roman- und Comic-Form. Anderthalb Meter im Buchregal.

Und zugegeben, längst nicht alle Abenteuer der Katzen sind besonders kreativ, noch dazu verliere ich immer öfter den Überblick über Figurenkonstellationen. Vor allem, seit das Fantasy-Element, welches zu Anfang noch fast gar nicht existierte, immer stärker wird, und nun Seelenwanderung, Wiedergeburten und ähnliches an der Tagesordnung sind. Immerhin passiert, überspitzt formuliert, in der vierten Staffel nichts geringeres als der Kampf Himmel gegen Hölle, der auf Erden Wirklichkeit wird. Nur eben mit Katzen.

Aber es geht mir schon lange gar nicht mehr darum, anspruchsvolle Literatur zu lesen, wenn ich einen WarriorCats-Band zur Hand nehme. Vielmehr sind der DonnerClan, die Einzelläufer und die Mythologie um SternenClan und Wald der Finsternis zu einem (Achtung, Pathos!) Teil meines Lebens geworden, wie es bei anderen Leuten mit Seifenopern oder Perry-Rhodan-Heftchen passiert.

Ich habe das Gefühl, diese Figuren zu „kennen“, weil ich seit mittlerweile acht Jahren immer wieder in diese Welt hineinblicke, wo Katzen im Rang aufsteigen, Junge geboren werden, Älteste versterben, und Reisen unternommen werden.

Dieses spezifische Gefühl der Bindung an eine fiktive Welt kann nur eine Serie erzeugen, die man nicht nur gelegentlich, sondern über Jahre hinweg verfolgt.

Dazu kommt: Mit vielen Bänden verbinde ich persönliche Erlebnisse aus meinem eigenen Leben. Band I/1 war mein erstes eigenes Leseexemplar kurz nach Beginn meiner Ausbildung. Bei Band I/3 passierte erstmals etwas sehr ernstes, so dass die Liebe so richtig entfacht wurde. Die WarriorCats waren die größte Konstante meines Buchhändler-Lebens.

Und nun habe ich noch etwa sechzig Seiten von Band IV/6 vor mir, der meines Wissens das Ende dieser Ära markiert. In zukünftigen Staffeln werden ganz andere Geschichten erzählt, und meine Helden sind entweder noch lange nicht geboren, oder selbst zu Legenden geworden. Und ich bin ganz sicher, dass auf diesen Seiten noch ein paar Katzen das Zeitliche segnen werden, die ich seit acht Jahre kenne und mag. Gibt es Gerechtigkeit da draußen? Dann bitte, verschafft meiner geliebten Mausefell ein Ende mit allem Pomp, den sie verdient hat! Ich weiß nicht, was mich heute Abend beim Lesen erwartet, aber ich werde es erfahren, und ich werde heulen bei ein Junges, das in eine Pfütze fällt.

Es mag albern sein, so etwas angesichts einer Jugend-Fantasy-Serie über sprechende Katzen zu sagen, aber wenn ich heute Abend den Buchdeckel zuklappe, endet ein liebgewonnener Teil meines Lebens.

Danke, Beltz & Gelberg, danke, warriorcats.de. Es war eine schöne Zeit! Möge der SternenClan Euren Weg erleuchten.


Seit diesem Beitrag sind fast vier Jahre vergangen, und im englischsprachigen Raum ist die Serie bereits bei der siebten Staffel angekommen. Ich lese die WarriorCats-Bücher immer noch sehr gerne, und noch immer gibt es mitunter einzelne Handlungsstränge, die mich mit ihrer Kreativität und interessanten Charakteren überraschen.

Auch ist mittlerweile ist mein Kater Kafka, der mich immer irgendwie an Feuerstern erinnert hat, gestorben. Welch Zufall, dass der neue Kater Noël, den ich im Winter bei mir aufgenommen habe, so aussieht, wie ich mir Graustreif immer vorgestellt habe …

„Marvel Neustart“ im Februar: She-Hulk hat mit Thor geknutscht

Reboots sind im Superhelden-Genre gang und gäbe – diesmal zieh ich’s durch und lese absolut alles, was unter dem aktuellen Label „Marvel Neustart“ veröffentlicht wird. Für die folgenden Zusammenfassungen nehme ich die Perspektive eines Comic-Einsteigers ein, denn für diese sind solche Reboots ja angeblich gedacht …

Waffe H #1

Waffe H ist ein ganz neuer Superheld, der erst vor Kurzem eingeführt wurde, als Nebenfigur in einer anderen Serie. Also um es ganz deutlich zu sagen: Jetzt taucht im Marvel-NEUSTART schon eine praktisch komplett neue Figur auf, und selbst für die muss man irgendwelche früheren Comics raussuchen, um ihren Ursprung kennenzulernen. Au weia. 
 
Aber egal, denn Waffe H ist eine verflucht starke Serie, zumindest dieser Anfang, in dem der Kampfkoloss (bürgerlicher Name: Clay), der aus Genen von Wolverine, Hulk und ein paar anderen Superwesen zusammengeschraubt wurde, durch die kanadische Einöde stapft, Menschen hilft, Monster verkloppt, Doktor Strange trifft und es am Ende dann mit Außerirdischen zu tun bekommt. Am Ende taucht dann Captain America auf, und das ganze droht, von einer coolen Einzelgänger-Haudrauf-Story wieder auf das bunte Marvel-Gruppenkuscheln zusammenzuschrumpfen. Hoffentlich kriegt der nächste Band die Kurve. 

Champions #1

Wenn’s erfolgreich ist, mach eine Kinder-Version. Was bei den Muppet-Babies klappt, kann man auch erfolgreich auf Superhelden anwenden, also taucht hier jetzt eine Truppe aus pubertären Nervensägen auf, die Freitags die Schule schwänzen, um Superbösewichte zu verwämsen. Okay, das mit den Freitagen ist gelogen, bringt das „Eigentlich haben sie Recht, aber den Erwachsenen gehen sie trotzdem auf den Keks. Schon blöde, wenn die Kinder mehr kapieren las man selbst“ gut auf den Punkt. Entsprechend geht auf ziemlich vielen Seiten auch um Diskussionen zwischen den Champions und der Superhelden-Organsiation Alpha Flight, die die Szene sinngemäß mit „Hallo Kinder!“ Betritt und sich instantan unbeliebt macht. 
 
in den Storys geht es dementsprechend auch mehr um Umweltschutz, Gleichberechtigung und so weiter als in allen bisherigen Serien. Und vor allem die erste Story ist wirklich gut, denn sie wartet ihrerseits mit einem Bösewicht auf, dessen Intention, die globale Erwärmung zu stoppen, ja an sich ne gute Sache ist. Aber der Name Master Of The World ist scheiße, selbst für einen Bösewicht, der sich dem Umweltschutz verschrieben hat. 

Deadpool #2

Die Cable-Story nervt. Rumdiskutiererei mit den Eternals, mit überwiegend unverständlichem metaphysischen Gesabbel. Aber das hat Tradition, früher wurde die erfolgreiche Deadpool-Heftserie auch immer mit einem eher lahmen Regalpenner zusammengelegt. 
 
Viel wichtiger: Bei Deaddy gibt’s jetzt die ersten Überschneidungen zwischen den Serien. Denn er bekommt jetzt auch mit einem der Celestials aus der Avengers-Serie zu tun. Weil wir hier aber über Deadpool reden, ist dessen Waffe kein krasser Laser oder sowas – er kotzt. Er reihert die ganze Stadt voll, während Deadpool (nicht ohne blutigen Streit vorab) von den Avengers angeheuert wird. So wird das jetzt langsam mal was mit der Querverbindung zwischen den Serien. Fein. 

Bruce Banner – Hulk #1

Wie auch Waffe H ist Hulk eine der wenigen eher düsteren, ernsten Storys bisher. Man könnte sogar von Horror-Elementen reden, wenn der Hulk durch die Nacht streift, gegen einen ehemaligen Kumpel kämpft, der sich Hulk-ähnlich in den Sasquatch verwandeln kann, und in der letzten Szene in einen Spiegel schaut, und seinen eigenen Vater sieht, der an Bruce Banners Hulk-Leben ja gar nicht so unschuldig ist. Außerdem gibt’s ein paar geile zeichnerische Ideen, zum Beispiel Gastzeichner für bestimmte Segmente, die aus der Sicht von zivilen Zeigen erzählt werden. 
 
Aber das Allerwichtigste, Beeindruckendste, Tollste, Schönste, Umwerfendste: Dieser Comic hat keinerlei unerwarteten Auftritte von Figuren, die nicht dazu gehören. 

Avengers #3

Langsam kommt Schwung in die Sache! Loki erzählt die ultimative Origin-Story von ALLEN, den in seiner Theorie entstanden sämtliche Superhelden jedweder Art aus dem Ur-Celestial, der seit Millionen von Jahren vor sich hinmodert. Vermutlich stimmt das nicht, aber es klingt ganz spannend. Jedenfalls haben sich jetzt endlich mal alle gesammelt (inklusive Alpha Flight, die den Kindergartendienst bei den Champions wohl unterbrochen haben), und die Klopperei kann losgehen. 
 
Oh, und She-Hulk hat mit Thor rumgeknutscht. 

Spider-Man #3

Noch ein Bösewicht mehr: Medel Stromm, ein Maschinenmensch, der sich glücklicherweise seiner eigenen Unbedeutung im Marvel-Universum bewusst ist. 
 
Können wir einen Moment inehalten, um zu reflektieren, was für ein zutiefst beschissener Name Mendel Stromm ist? Danke. 
 
Na, der hat jedenfalls mit Hilfe der Celestials (siehste? Querverbindungen! Das bringt Auflage!) den Kampf gegen Spidey aufgenommen, der immer noch von Peter Parker getrennt ist. Am Ende fusionieren die beiden aber wieder, und der wieder erstarkte „Peter-Parker-Spider-Man“ rettet den Tag. 
 
Im letzten Panel taucht dann ein Mann mit Steinzeit-Klamotten auf. Weiß der Teufel, was der will. 

Fazit:

Teilweise kommt jetzt also Schwung rein. Wie sich die Celestials aus ihrer Avengers-Story nun in die Geschichten von Spidey und Deadpool mischen, gefällt. Das ausgerechnet Hulk und ein Pseudo-Hulk die bisher intelligentesten Geschichten und spannendsten Charaktere bieten, überrascht. Und dass die Champions bei all ihrem pubertärem Auf-den-Sack-geh-Faktor irgendwie ja doch Recht haben, das nervt.

„Marvel-Neustart“ im Januar: Vier Spider-Männer und ein Einhorn

Reboots sind im Superhelden-Genre gang und gäbe – diesmal zieh ich’s durch und lese absolut alles, was unter dem aktuellen Label „Marvel Neustart“ veröffentlicht wird. Für die folgenden Zusammenfassungen nehme ich die Perspektive eines Comic-Einsteigers ein, denn für diese sind solche Reboots ja angeblich gedacht …

Peter Parker – Der spektakuläre Spider-Man #1

Neustart: Das verspricht einen einsteigerfreundlichen Comic, in dem dem geneigten Leser die Figuren doch zumindest kurz erklärt werden – wenn man nicht sogar in den Luxus einer ordentlichen Origin-Story kommt. Aber Pustekuchen: Hier geht’s direkt volles Pfund ins Gemüse: Spider-Man macht ne Zeitreise; kämpft gegen den grünen Goblin; hat ne Freundin (Gwen Stacy); diskutiert mit seinem Vergangenheits-Ich und verbreitet allgemeine Verwirrung für jeden, der kein Marvel-Wiki in Griffweite hat. Und ohne Scheiß: Dieser Comic hat auf fast jeder Seite eine Fußnote á la „Um diesen Satz zu verstehen, siehe Heft soundso vom letzten oder vorletzten Neustart!“
Oh, und in exakt einem Panel haut Ms. Marvel einem Schurken eins um die Ohren, ohne auch nur ein einziges Mal vorher oder nachher wieder erwähnt zu werden.

Spider-Man #1

Spider-Man hat ne Freundin (Mary-Jane); hat scheinbar bei seiner Abschlussarbeit geschummelt; wohnt jetzt mit Boomerang zusammen; Mysterio wird von irgendwas freigesprochen und so ’ne komische Echse ist jetzt Lehrer an Spideys Uni.

Dabei ist im Prinzip alles soweit ganz töffte, bis auf eines: Wie passt das alles mit dem Peter-Parker-Buch zusammen? Zeitsprünge? Schon das erste Paralleluniversum? Das wird ja alles noch spaßig …

Avengers #1

Vor Jahrmillionen haben die Steinzeit-Avengers riesige Weltraumriesen, die echt riesig sind, getötet; und in der Gegenwart tauchen plötzlich wieder welche auf. Die Avengers sind überfordert, aber guter Dinge.

Deadpool #1

Deadpool will wieder ein böseres Image haben und verwämst einen Haufen Rocker. Nackt mit einem Plüscheinhorn über’m Lümmel. Cable legt sich mit ’ner krassen Braut von den Externals an. Als er gerade denkt, er hat sie besiegt, holt sie ihre Kollegen.

Thor #1

Thor verkloppt Leute, weil ihm keiner glaubt, dass er’s noch drauf hat. Dann heiraten welche und Thanos taucht auf und macht einen auf dicke Hose. Zwischendurch reden alle unverständliches Zeug und Loki muss helfen, obwohl ihn keiner mag.

Tony-Stark – Iron Man #1

Tony hat sich selbst wieder zusammengebaut, nach dem er bei irgendeinem vorherigen Reboot des Marvel-Universums offenbar kaputt gegangen ist. Dann greift auch direkt ein riesiger Drache auf, woher der kommt oder was er will, interessiert aber keinen. Wichtiger ist, dass Tonys Roboter-Kollegin gerne menschlicher sein möchte, ein Bösewicht Menschen mit einer gehackten Dating-App manipuliert und Tonys Bruder kopflose Kühe (im wörtliche Sinn!) in Zaum hält.

Spider-Man #2

Die Echse ist „die Echse“, also noch ein Superbösewicht. Der aber eigentlich kein Bösewicht mehr ist, sondern eben jetzt Dozent. Und dann passiert plötzlich tatsächlich mal was Krasses: Ein zweiter Spider-Man taucht auf, und Peter erfährt, dass bei einem Unfall im Labor der Uni seine zwei Persönlichkeiten Spidey und Peter voneinander getrennt wurden. Und jetzt hat er Schiss, dass er (Peter) ihn (Spidey) nicht mehr unter Kontrolle hat. Stärke und Verantwortung, das Ding halt wieder. Aber ganz ehrlich: Eigentlich geht’s ihm darum, dass Spidey ihm seine Freundin ausspannen könnte.

Avengers #2

Das Motto der Avengers heißt „Sammeln!“ Und deshalb passiert in diesem Heft auch nix, außer, dass immer mehr Helden zusammenkommen, um was gegen die Celestials zu tun. Wobei viel rumdiskutiert wird, weil sich nicht alle leiden können, und manche gar keine Avengers sein wollen. Aktuelle Aufstellung: Captain America, Thor (kurzhaarig), Iron Man, Black Panther, Doctor Strange, Captain Marvel, Ghost Rider, She-Hulk. Und als Strippenzieher auf der Gegenseite: Loki.

Fazit:

Wenn das Ziel war, Unwissenden einen Einstieg in die wunderbare Welt der Marvel-Comics zu bieten, würde ich sagen: Grandios verkackt. Mit normalen Mitteln kann man einem Außenstehenden jedenfalls nicht vermitteln, warum es in den Serien zwar fast keine Vorstellung der Figuren, Erklärungen der Vorgeschichte und so weiter gibt, wohl aber schon jetzt vier verschiedene Spider-Männer und ungefähr anderthalb Dutzend Bösewichte. Trotzdem: Vor allem Spider-Man (die Heftserie), Deadpool und Iron Man haben einen guten „Start“ hingelegt. Wobei der Start etwa einem Wurf ins kalte Wasser entspricht. Aus einem Flugzeug. Während man schläft.

Mein Kater Kafka

Nie im Leben hatte ich so große Panik wie an diesem Tag im Sommer, als ich abends beim Fernsehen plötzlich merkte, dass ich die Wohnungstür vorhin, nachdem ich aus dem Keller kam, nicht richtig geschlossen hatte. Kafka war ein enorm neugieriger Kater, der immer, wenn man nicht aufpasste, in den Hausflur entwischte. Dort pflückte ich ihn dann ein Stockwerk höher oder tiefer von der Treppe und brachte ihn zurück in die Wohnung. Er blickte mich dann immer auf eine Art an, die mir wohl klar machen sollte, dass er schon groß sei und durchaus selbstständig das Haus erforschen konnte.

Jetzt war die Tür seit einer halben Stunde auf, und Kafka verschwunden. Ich wusste nicht, ob zwischendurch ein Nachbar eine Haus- oder Hoftür geöffnet hatte – und ich wusste, dass zumindest einer meiner Nachbarn mir ganz sicher nicht Bescheid sagen würde, wenn das Tier an ihm vorbei auf die Straße gelaufen wäre. Ich habe in meinem Leben Bekanntschaft mit Ängsten und irrationalen Zuständen gemacht, doch nie zuvor war die Panik so groß und gleichzeitig gut begründet wie dieses Mal. Denn dies war keine irrationale Angst vor Menschen, sozialen Situationen, vor dem Versagen oder dem Alleinsein, sondern die ganz konkrete Angst, dass Kafka verschwunden war, und sich da draußen nicht im Geringsten zurecht finden würde.

Nach einer Stunde, in den ich jedes Möbel leergeräumt hatte (falls er doch noch in der Wohnung sein sollte), mit jedem Nachbarn gesprochen und die umliegenden Gärten abgesucht hatte, fand ich ihn in einer der hintersten Ecken des Kellers hinter einem Stapel Gerümpel. Die Erleichterung war grenzenlos, und ich war mir sicher, nie wieder so viel Angst um eines meiner Tiere haben zu müssen.

Vor vierzehneinhalb Jahren beschloss ich, eine Katze bei mir aufzunehmen. Kurz zuvor hatte ich ein Kaninchen, dass ich jedoch Allergie-bedingt abgeben musste. Nun sollte es eine Katze werden. Naiv und ohne echte Katzenerfahrung waren damals noch Kleinanzeigen meine erste Anlaufstelle, und ich fand einen Wurf von Kätzchen zum Verkauf. Ich erinnere mich noch an die Wohnung, in der mich zunächst ein großer, freundlicher Husky begrüßte. Die Kätzchen befanden sich in einem dunkelbraunen Körbchen – ein Haufen winziger, wenige Wochen alter Tierchen mit mickrigen Schwänzchen, unbeholfenen Bewegungen und einer aufmerksamen, braun getigerten Mutter mit platter Nase. Die Mutter war ein Perser-Mischling, und an den Kleinen zeigte sich das Erbe dieser Rasse an dem ungewöhnlich fluffigen Fell – die typischen Perser-Gesichtszüge hingegen fehlten den Kätzchen. Der Vater war ein Nachbarskater, über den niemand viel wusste – Geschichten, wie sie sich für kitschige Katzenromane eignen, in der Wirklichkeit jedoch die Naivität von Menschen offenbaren, denen nicht bewusst ist, wie sehr die Spezies unter Überpopulation leidet und wie viel Schaden das Vermehren, Züchten und Verkaufen anrichtet. Ich war selber nicht weniger naiv. Später beschloss ich, sollte ich jemals eine neue Katze haben wollen, diese nur aus einem Tierheim oder ähnlichem zu holen.

„Die sind alle schon verkauft, bis auf die zwei Roten. Die wollte bisher keiner. Na, dann suchen Sie sich mal einen aus.“

So begann es, und ich lernte zwei der wichtigsten Wesen kennen, die je mein Leben bereicherten. Provisorisch hatten „die beiden Roten“ von den Besitzern die Namen Tweety und Bigfoot bekommen, ich nannte den wachen, aufmerksamen Kater Hide (sprich „Hi-De“, nach dem Gitarristen meiner damaligen Lieblingsband „X“), und seinen schüchternen, ängstlichen Bruder Kafka (nach dem Schriftsteller). Ohne es zu merken, muss ich die beiden jedoch irgendwann in den ersten Wochen verwechselt haben – und erst Jahre später wurde mir anhand von Fotos bewusst, dass der, der ursprünglich Kafka heißen sollte nun Hide hieß – und umgekehrt.

Kafka und Hide hatten in den Jahren, die folgten, viele Spitznamen. Einst konnte ich einer etwas naiven Bekannten über Monate glaubhaft machen, Kafka sei die Abkürzung für Kaffee-Katze, und ich würde ihn nur mit Kaffee füttern. Zusammen nannte ich sie oft die „Rote Miau-Fraktion“. Meine Ex nannte sie die „Mini-Katzen“, selbst dann noch, als Hide zu einem stattlichen, regelrecht fetten Kater wurde.

Am Grab meiner Mutter steht geschrieben, dass man oft erst weiß, was man hatte, nachdem man es verlor. Mit Kafka und Hide ging es mir ähnlich – erst als im verfluchten Jahr 2013 eine hässliche Trennung mich an die Grenzen meiner psychischen Belastbarkeit trieb merkte ich, wie wichtig die beiden tatsächlich waren.

Ich liebte sie beide, und bin froh, dass, während mir durch die Trennung zwar auch finanzieller Schaden zugefügt wurde, zumindest keinerlei Rechtsstreit um die Katzen entstand. Dass meine Ex das Interesse an den beiden im gleichem Maße verloren hatte wie an mir, war der große Glücksfall in dieser Geschichte.

Wie gesagt – ich liebte keinen der beiden mehr als den anderen, und doch hatten sie unterschiedliche Wirkung auf mich. Während Hide sich zu einem gemütlichen, freundlichen, etwas naiven Dickerchen entwickelt hatte, das einen ganz wunderbaren Winnie Puuh abgegeben hätte, umgab Kafka immer die Aura eines wachen, klugen Kämpfers. Ich erkannte ihn wieder in Liedern von Samsas Traum, die von Katzen handeln; in literarischen Katzen wie Spiegel, Echo, Francis oder Feuerherz; ich sah in ihm das, was ich gern sein wollte: Stark, klug, glücklich – ein verlässlicher Partner, ein Bruder, ein Held. Mit dem Bild von Kafkas starkem Blick vor Augen überstand ich Zeiten, in denen es mir unsagbar schlecht ging, das Leben mich ermüdete, in denen ich keine Zukunft zu sehen mehr imstande war.

In einem meiner Lieblingslieder heißt es „Warum sind wir noch am Leben, wenn uns nichts und niemand stützt – weil uns eine Katze mehr als alle Menschen auf der Welt beschützt?“. So wichtig mir die wenigen Familienmitglieder und Freunde, die ich noch hatte, auch waren – es waren meine Kater, die mich davor bewahrten, mich ganz aufzugeben. Und während Hide mir Geborgenheit und Liebe zu vermitteln imstande war, gab mir Kafkas Ausstrahlung Stärke und Optimismus.

Fünf Jahre waren uns nach meiner persönlichen Katastrophe noch gegeben. Jahre, in denen Familienmitglieder und Freunde starben; Versuche, wieder eine Beziehung zu beginnen, scheiterten; mein Kater Felix, den ich einst vor dem Tierheim rettete, starb – und immer war Kafka da und schien mir sagen zu wollen, dass ich auch diesen und den nächsten und den übernächsten Kampf überstehen würde.

Der eine Kampf, der dann doch verloren wurde, war am Ende Kafkas eigener. Anfang Dezember wurde er auffällig schwach und zog sich immer mehr zurück. Da er sich so schon ein paar Mal verhalten hatte, aber jedesmal nur ein verdorbener Magen oder etwas ähnlich Harmloses der Anlass war, dachte ich mir erst nichts dabei, ging nach etwa anderthalb Wochen ohne Besserung dann aber doch mit ihm zum Arzt. Zwei Tage später war er tot, zwei Tage, in denen ich Ängste ausstand, wie sie schlimmer nicht sein konnten.

Es war Krebs. Nichts hatte zuvor darauf hingewiesen, und da er an sich immer ein kerngesundes Tier war, war die letzte allgemeine Kontrolle schon eine Weile her. Zu dem Zeitpunkt, zu dem sich das veränderte Verhalten bemerkbar machte, war es eigentlich schon zu spät. Drei Karzinome – Lymphdrüse, Milz, Darm – waren zuviel, als dass irgendein Arzt noch etwas hätte retten können, zumal das problematischste, jenes an der Lymphdrüse, in Ultraschall und Röntgen nicht sichtbar war und sich erst während der Operation zeigt.

Ich mache mir Vorwürfe, dass ich Kafka, nachdem er seine Narkose bekommen hat, nur noch alles Gute gewünscht habe, er aber nicht in meinen Armen einschlafen konnte. Zumindest lag er in seinem Körbchen, ich aber – mag ich mich noch so sehr als Pessimist geben – war fest davon überzeugt, dass er es irgendwie schaffen würde, und konnte mir nicht vorstellen, dass dies bereits seine letzten Sekunden waren.

Ich bin ein emotionaler, sensibler Mensch, aber ich behalte meine Gefühle meist für mich. An diesem Tag habe ich geschrien. Habe Fäuste gegen Wände geschlagen. Habe geheult. Ich hätte die ganze Welt zertrümmert, würde mir ein gütiger Gott dann meinen Kafka wiedergeben. Doch nichts passiert. Das Universum interessiert sich nicht für einen Jungen, der seinen Freund verliert.

Ich werde das ändern. Es sind nur vage Gedanken in meinem Hinterkopf, aber ich will, dass die Welt von Kafka erfährt. Ich weiß nicht in welcher Form. Ich weiß nicht, wie ich das bewerkstelligen werde. Aber ich kann ein hartnäckiger Bastard sein, wenn ich etwas wirklich will. Im „Letzten Einhorn“ heißt es, es gäbe kein Happy End, weil nichts je endet. Auch nicht Kafkas Geschichte.

Auf Dich, mein lieber Freund. Du hast mir das Leben gerettet, ich werde Dein Andenken bewahren.

Dicke Mädchen in Cosplays

Liebe dicken Mädchen in Cosplays:

Mich hat es heute kurz auf die Connichi verschlagen. Da sah ich Euch wieder: Bauchfreie Speckröllchen, dicke Oberschenkel unter knappen Miniröcken. Aber nicht nur das, sondern auch die unter Euch, deren zu kleine oder zu große Statur nicht zur Cosplay-Vorlage passt; die großzügig überschminkten Akne-Probleme; diejenigen, die offenbar weder in hohen Schuhen laufen noch in Röcken sitzen können; ein paar Frauen, die körperlich ganz eindeutig Männer waren; und sogar solche, die kein Problem damit haben, Narben offen herumzuzeigen.

Es ist ja nicht nur bei Anime-Conventions so, sondern überall in diesen „Szenen“, auf Konzerten, auf der Gamescom – immer wieder der Anblick von Mädchen und Frauen, die sich keinen Deut darum scheren, ob anderen ihr Anblick vielleicht missfallen könnte.

Liebe dicken Mädchen in Cosplays (und andere, die sich angesprochen fühlen):

IHR SEID TOLL.

Wenn man Euch anschaut, sieht man, wie glücklich es Euch macht, EINMAL so aufzutreten, Euch so zu zeigen wie Ihr es wollt, wie Ihr es toll findet, und es Euch glücklich macht. Vermutlich wisst Ihr, wie es sich anfühlt, wegen seines Aussehens oder anderer Unzulänglichkeiten verachtet und beleidigt zu werden. Umso schlimmer, dass derlei Lästereien auch szeneintern keine Seltenheit sind. Ihr werdet fertiggemacht, wenn Ihr eine kurze Hose oder einen Rock anziehen möchtet – man könnte ja etwas Cellulite sehen. Man tuschelt darüber, wo Eure Narben herkommen, warum Ihr Euch entweder zu bieder oder zu nuttig anzieht. Und das sind nur die Äußerlichkeiten – fangen wir besser gar nicht erst von Hobbies, Wünschen und Zukunftsträumen an. Und das vielleicht nicht nur in der Schule, der Uni, dem Beruf – sondern sogar, wenn Ihr auf einer Convention seid, und Euer Cosplay, dass Euch soviel Freude bereitet, anderen nicht gefällt.

Lasst Euch nicht klein halten. Gebt Euch nicht mit Menschen ab, die Euch nicht respektieren. Akzeptiert es nicht, wenn Menschen Euch die Freude an dem, was Ihr tun möchtet nehmen, weil sie es für albern, unangemessen, oder sonstwie falsch halten. Weil Ihr nicht gut seid, wenn Ihr nicht deren Norm entsprecht. Das muss gar nicht die vielzitierte „Gesellschaft“ sein, auch Szenen und Subkulturen haben ihre Normen, und sie haben ihre eigenen Spießer. Hört nicht auf Menschen, die Euch vorschreiben wollen, wie Ihr zu sein und was Ihr zu mögen habt, die Eure Gefühle lächerlich und Eure Wünsche irrelevant finden. Nicht einmal, wenn es sich um vermeintliche Freunde oder gar Eure*n Partner*in handelt. Ihr würdet mehr verlieren, als Ihr gewinnen könnt.

Ihr seid toll.
Und ich beneide Euch um Euren Mut und Euer Selbstbewusstsein.

#BodyPositivity

Rezension: Last Day Of June

Ich sitze mit meiner Frau am See. Es ist unser See, seit vielen Jahren gehen wir dorthin, machen Picknicks oder lassen einfach nur die Seele baumeln. Sie zeichnet eine Karikatur von mir – als Superheld, der ich, schmächtig, wie ich bin, eigentlich ganz sicher nicht bin. Und sie hat ein Geschenk für mich. Ich weiß nicht, wie sie es an mir vorbei geschmuggelt hat, aber ich habe geahnt, dass sie etwas vorhat. Offenbar hat sie überlegt, wie und wo sie es mir geben soll – zu einem Herz arrangierte Blütenblätter auf der Kommode, ein Stern aus Besteck in der Küche zeugen davon.

 

Plötzlich beginnt es, zu regnen, ein Platzregen, nicht unüblich in dieser Gegend. Wir stehen schnell auf, hasten über das Feld zum Auto, steigen ein, und fahren eilig nach Hause.

Pause without end
A moment in time suspends
How could she leave?

So beginnt Last Day Of June, und selten hat eine so kurze, mit nur wenigen Bildern erzählte Geschichte mit so viel Kraft dargestellt, was es bedeutet, einander zu lieben. Ähnlich wie in dem berühmten Prolog des Films Oben braucht es keine Worte, keine Erklärungen um durch wenige Gesten und Momente zu erkennen, was die Protagonisten dieses außergewöhnlichen Spieles füreinander empfinden. Ohne kitschig zu sein zeigt sich dem Spieler allein durch das Durchstreifen der Wohnung und die kurze Szene am See die augenscheinlich langjährige Vertrautheit der beiden, vermischt mit einer frischen, jugendlichen Verliebtheit.

Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, dessen Interesse an Videospielen sicherlich gegen Null tendierte, sagte einmal, es gäbe in der Literatur nur zwei Themen: Liebe und Tod. Wenn dem so ist, könnte auch das praktisch vollkommen ohne Worte auskommende Last Day Of June als Literatur durchgehen, denn kaum kennt der Spieler die Protagonisten, folgt der Schock: Auf der verregneten Heimfahrt verreißt Carl das Steuer, der Wagen bricht aus, es kracht. Kurz darauf sehen wir die Wiederholung einer vorherigen Szene, in der Carl neben seiner Frau June auf dem Sofa sitzt, und der Spieler angehalten wird, sich mit einem Druck auf den A-Knopf vom Sofa zu erheben. Nun jedoch ist das Licht im Wohnzimmer aus, ein feindseliger blauer Schimmer hängt über allem, das Sofa neben ihm ist leer. Erneut soll der Spieler den A-Knopf drücken. Spätestens jetzt dürften zumindest empfindsame Spieler einen brutalen Stich im Herzen spüren, wenn Carl eben nicht aufsteht, sondern mühselig seinen Rollstuhl hinter dem Sofa hervorwuchtet.

Noch etwas schläfrig: Das Ehepaar kurz vor dem Aufbruch zum Picknick am See.

Das Schicksal gibt dem gebrochenen Mann jedoch eine Chance, und hier beginnt das eigentlich Spiel: Carl findet Gemälde, die die verstorbene Geliebte von ihren vier Nachbarn angefertigt hat. Mit ihnen kann Carl auf magische Weise in die Vergangenheit eingreifen – Aufgabe des Spielers ist es nun, die Tagesabläufe der Nachbarn so zu manipulieren, dass sich der Unfall eben nicht ereignet.

Beispielsweise stellt sich heraus, dass ein Kind auf der Straße der Auslöser für den Unfall war: Nun muss der Spieler in typischer Adventure-Spiel-Manier eine alternative Beschäftigung für das Kind finden, welche dieses von der Straße fern hält. Ist dieser Auslöser ausgeschaltet, passiert jedoch etwas anderes, das ebenfalls für den Unfall sorgt – so müssen nun alle vier Tagesabläufe in Einklang gebracht werden, so dass sich letztlich nichts und niemand an der Straße befindet, wenn Carl und June dort vorbeifahren.

Der Nachbarsjunge erkundet seine Umgebung – noch hat er den Fußball dabei, der später zum Verhängnis wird.

Spielerisch eine überschaubare Aufgabe. Die Rätsel sind nicht schwer, und machen ohnehin nur die Hälfte des ansonsten hauptsächlich auf das Vorantreiben der Handlung bedachten Spieles aus. Last Day Of June ist ganz sicher kein Spiel für „Gamer“ – keine Herausforderung, kein Wettbewerb. Vielmehr nutzt es interaktive Möglichkeiten, damit der Spieler den Figuren näher ist. In der Rolle Junes nach einem guten Platz für das Geschenk zu suchen; oder als Carl zu entscheiden, ob man June wohl mit einer gepflückten Blume eine kleine Freude macht ist eine Form der Einbindung, die Filme, Comics und dergleichen eben nicht leisten können.

You’re still alone
So drive home

Last Day Of June basiert auf einem Lied des Musikers Steven Wilson, welches die Rahmenhandlung des Autounfalls vorgibt. Auch das mit klassischem Stop-Motion-Puppentrick vom Studio Owl House produzierte Musikvideo zu Drive Home ist als unmittelbare Vorlage zu verstehen – schon hier findet sich das auf den ersten Blick fast niedliche Figurendesign, das fast völlig auf Mimik verzichtet. Zugegeben, die Charaktere mit ihren leeren Augenhöhlen und ohne Münder können unter Umständen etwas gruselig wirken (man denkt an Coraline und Werke von Tim Burton), aber das ist wahrlich nicht beabsichtigt. Das von Owl House mitproduzierte Spiel, das seine Figuren mit Grafiktricks ebenfalls wie Stop-Motion-Figuren aussehen lässt, gibt sich redlich Mühe, selbst in schrecklichen Szenen eine kindliche, fast niedliche Art Direction zu bewahren.

Wilson-Fans dürften neben Drive Home noch vielmehr in Last Day Of June wiederfinden. Der Soundtrack besteht aus Instrumentalversionen von einem guten Dutzend Songs, und in den Charakteren und ihren Hintergrundgeschichten (die der Spieler ganz nebenbei ebenfalls in wenigen, aber kraftvollen Bildern entblättert) sind zahlreiche Themen von Wilsons fast durchgängig schwer melancholischen bis hoffnungslos anmutenden Liedern vertreten.

Hoffnungslos? Nunja, viele von Wilsons Liedern setzen sich mit dem Thema „Verlust“ auseinander, und fast alle haben gemein, dass nicht das Hoffnungsvolle, Kämpferische im Menschen die Oberhand gewinnt, sondern die Akzeptanz des Unabänderlichen. Was passiert, wenn ein Künstler mit derartiger Weltsicht nun eine Geschichte erzählt, in der es gerade darum geht, nicht zu akzeptieren? Darum, das bereits Geschehene zu korrigieren, das Unglück aus der Welt zu schaffen?

In der Wohnung von Carl und June finden sich ein paar liebenswürdige Hommagen an klassische Malerei.

Selbstverständlich soll hier weder das Ende der Geschichte, noch der Weg dahin, noch die anrührenden Geschichten der vier Nachbarn verraten werden. Dennoch: Das Ende kommt gleichzeitig überraschend und doch vorhersehbar, schlägt einem Hoffnung und Akzeptanz gleichermaßen um die Ohren und lässt den Spieler mit Vielem zurück, über das Nachzudenken sich lohnt.

Last Day Of June wurde von Ovosonico entwickelt und von 505 Games vertrieben. Es ist als Download für Nintendo Switch, PlayStation4 und PC für ca. 19,99€ erhältlich, und freigegeben ab 6 Jahren.

Rezension: Es

Es ist kein Buch über ein kinderfressenden Clown.

Steile These? Natürlich kommt dem Monsterclown ein ordentlicher Anteil des etwa 1600 Seiten starken Romans zu. Aber ihn zum Thema des Buches zu erklären wäre, als beschränkte man man Kafkas Die Verwandlung auf einen Mann, der sich verwandeln kann, oder Alice im Wunderland auf eine Aneinanderreihung alberner Kindergeschichten.

Es handelt von Kindheit und Jugend. Von der Angst, die Sicherheit hinter sich lassen zu müssen, von der Konfrontation mit erschreckenden Veränderungen im Leben – an sich selbst wie am Lebensumfeld – und davon, wie wir als Erwachsene eben doch irgendwann all das vergessen oder verdrängen, was uns als Kindern so übermächtig vorkam. Freunde geraten in Vergessenheit, Bekannte verschwinden, das Magische wird albern und das Alberne verachtenswert.

Wovor hast Du Angst? Erwachsene haben Angst vor Hypotheken, Arbeitslosigkeit, Scheidung, Krankheit. Viel ernstere, realistischere Ängste als die von Kindern, aber doch um soviel beherrsch- und berechenbarer als die Angst vorm Schwarzen Mann, vor dem Monster unter dem Bett, vor den Geräuschen im Keller. Erwachsene Ängste sind konkret, kindliche Ängste sind existenziell.

So zumindest habe ich Es verstanden, und so ist es nach dem ersten Lesen zu einem Buch geworden, dass mich in der Summe mehr berührt hat als jedes andere, und das ich mittlerweile eindeutig als meinen Lieblingsroman bezeichnen kann. Dabei habe ich Es erst vor vier Jahren kennengelernt, als ich selbst längst erwachsen war, und die kleinen Ängste der Kinder auch für mich nur noch dunkle Erinnerung waren. Es hat mich an vieles erinnert: Die erste Schwärmerei für ein Mädchen; das Dilemma, Mädchen doch eigentlich doof finden zu müssen; die Überforderung im Angesicht von Gerüchten über Mörder, die einige größere Kinder gestreut hatten; das ganz reale Mobbing der Schulhof-Rowdys.

Schon in der ersten Verfilmung die prägnanteste Szene: George Denbrough im Gespräch mit Pennywise

Dass ich Es erst vor kurzem zum ersten Mal las, liegt dabei nicht an mangelndem Interesse, sondern an der ersten Verfilmung: Der TV-Zweiteiler mit Tim Curry in der Hauptrolle hat zwar seine schönen Momente, reduziert die Geschichte aber viel zu sehr auf die Oberflächlichkeiten. Dazu kommt: Hier ist kaum etwas gruselig. Schon damals wartete ich insgesamt gut drei Stunden darauf, dass nun endlich mal etwas Schreckliches passiert, davon konnte aber kaum die Rede. So sprach mich Es weder über seine Charaktere an, noch konnte das kaum vorhandene Splatter-Element meine jugendliche Sensationsgier befriedigen.

Mittlerweile sieht das etwas anders aus: Meine Ansprüche an Literatur ebenso wie an Filme sind etwas andere geworden, und kurz, nachdem ich Es zum ersten Mal las, folgte die Meldung, dass eine Neuverfilmung im Gespräch sei. Ein schöner Zufall für mich, der seine Meinung über den alten Zweiteiler auch nach der ersten Lektüre des Buches nicht ändern konnte. Vier Jahre später, in denen ich das Buch gleich mehrmals las, ist die Neuverfilmung von Andrés Muschietti nun da, schlägt einen Rekord nach dem anderen, und versetzt mich in die seltsame Situation, dass nun plötzlich alle wieder über das dreißig Jahre alte Buch reden und mich nach meiner Meinung fragen.

Es, wie es jetzt im Kino läuft, ist dabei nur die erste Hälfte der Geschichte. Im Gegensatz zu vielen anderen Kino-Mehrteilern wurde hier nicht back-to-back gedreht – tatsächlich wurde die Produktion des zweiten Teils erst wenige Tage vor Veröffentlichung des ersten beschlossen, und die Dreharbeiten werden erst 2018 beginnen. Wer das Buch kennt, weiß, das in diesem Fall ein Zweiteiler eine durchaus angemessene Lösung ist, und das nicht nur aufgrund des enormen Volumens des Ausgangsmaterials. Die Geschichte von Es teilt sich in zwei Zeitebenen. In der ersten (1958 im Roman und 1989 im Film) treffen sich sieben Kinder, die alle auf ihre Weise Außenseiter sind, die für ihr junges Alter schon zu viel Schlimmes erlebt haben. Sie alle werden mit dem namenlosen Bösen konfrontiert, welches sie Es nennen, nehmen die Herausforderung aber an, und versuchen, Seinem Geheimnis auf die Schliche zu kommen und es zu besiegen. Das alles, während die „reale Welt“ ihnen das Leben nicht einfacher macht: Pubertät, Mobbing, Missbrauch, Rassismus – Alltag für die sieben Kinder. Der zweite Teil hingegen betrachet das Leben dieser Kinder als Erwachsene, die ihre Kindheit und die schrecklichen Erlebnisse vergessen und verdrängt haben – bis ein Anruf eines alten Freundes mit einem Satz alle Narben aufreißt und an ein altes Versprechen erinnert: „Es ist wieder da.“

Der Club der Verlierer kurz vor dem Ziel. Hier haust Es.

Der Roman verbindet beide Zeitebenen durch regelmäßige Sprünge von Kapitel zu Kapitel. Anfangs lässt sich jedes Kapitel dabei noch enorm viel Zeit für Ausschweifungen in die Stadtgeschichte Derrys oder die Familiengeschichten der Protagonisten, später werden die Abstände kürzer, so dass gegen Ende des Buches beide Zeitstränge auf das Finale zulaufen und man als Leser praktisch zwei „große Endkämpfe“ gleichzeitig erlebt. Wo im Buch somit bis zum Schluss nicht ganz klar ist, ob und wie die Kinder Es besiegen, muss die Verfilmung hier ein Spannungselement der Ordnung opfern: Der aktuelle Film erzählt nur die Geschichte der Kinder, und zwar vom Anfang bis zum Ende. Man weiß automatisch, DASS sie es schaffen, nur das „Wie und zu welchem Preis“ bleibt offen. Teil 2, welcher im Herbst 2019 in die Kinos kommen soll, führt ins dann zu den Erwachsenen, und wird in dieser Verfilmung voraussichtlich im Jahr 2016 spielen (Im Roman war es 1985).

Abgesehen von diesem Eingriff in die Erzählstruktur ist die Verlagerung der Ereignisse um einen „Zyklus“ (Es erwacht immer etwa alle 27 bis 28 Jahre) in Richtung Gegenwart zusammen mit daraus resultierenden Änderungen die größte Freiheit, die Muschietti sich mit Kings Roman erlaubt. Änderungen, deren Akzeptanz sicher auch vom Alter der Leser abhängt. King schrieb Es Mitte der Achtziger – in einer Zeit also, in der die Zeitebene der Erwachsenen der Gegenwart seiner Leser entsprach, und er ebenfalls davon ausgehen konnte, dass die Fünfziger Jahre in der Erinnerung seiner Leser noch aktuell wären. Muschietti erreicht das Selbe mit seinem Film und jenen Zuschauern, die eher in den Achtzigern oder Neunzigern Kinder und Jugendliche waren. Ältere Es-Fans mögen vielleicht etwas enttäuscht sein, die meisten Zuschauer dürften den Film jedoch dadurch als angenehm nostalgisch und die kommende Fortsetzung als zeitgenössisch empfinden und sich gut mit seinen Figuren und seiner Welt identifizieren können – etwas, was mit Kings ursprünglichem Roman aus heutiger Sicht nicht mehr ganz so einfach ist.

Die Kinder ändern sich durch knapp drei Jahrzehnte Verschiebung jedoch kaum: Ihre Charakteristika treffen Muschietti und sein großartiges Ensemble größtenteils unbekannter Kinderschauspieler wie die Faust auf’s Auge. Kleinigkeiten ändern sich natürlich: Richie (gespielt von Finn Wolfhard aus Stranger Things) etwa tauscht sein Faible für Stimmimitationen gegen derbe Witze der Kategorie „Deine Mutta!“ – etwas, was ich in fast jedem anderen Film primitiv und unnötig finden würde, hier aber die Art und Weise, wie sich Kinder seines Alters untereinander verhalten, glaubwürdig trifft. Allenfalls könnte man darüber diskutieren, wie verbreitet dieses Genre von Beleidigung Ende der Achtziger in den USA tatsächlich war. Überhaupt: Wenn Richy über ein versifftes Waschbecken bemerkt, es „sieht aus wie die Muschi Deiner Mutter“ und wir Erwachsenen im Publikum schockiert sind, laufen wir direkt in die Falle, und sind selbst der beste Beweis dafür, dass man als Erwachsener tatsächlich irgendwann vergisst, wie sich Kinder untereinander verhalten. Schon in Kings Roman fand sich derlei mehr als einmal, etwa wenn George und Bill ganz am Anfang ausgiebig darüber diskutieren, wer von ihnen das größere oder braunere Arschloch habe.

Beverly Marsh, in einer Klokabine versteckt vor ihren schlimmsten Peinigern. Nicht Monstern oder Mördern – sondern Mitschülern.

Auch Beverly ist ein bisschen offener und wirkt aufgeklärter. Insbesondere durch diese beiden Figuren bleibt denn auch eine pubertär-sexuelle Spannung im ganzen Film erhalten – auf ihre Art verbergen schließlich beide ihre Unsicherheit hinter dem selbstbewussten Verhalten. Und Kenner des Romans wissen, dass insbesondere Beverlys kindliche Sexualität eine wichtige Rolle spielt – nur, dass die im Romane sehr explizit gehaltenen Szenen in Muschettis Verfilmung fehlen. Zu Recht – nicht alles, was geschrieben und ausformuliert Sinn ergibt eignet sich an Es für eine bildliche Darstellung.

Der Aspekt „Kinder werden Freunde und erleben ein Abenteuer“ von Es ist also hervorragend getroffen – eine Seltenheit, denn schließlich sind die meisten Geschichten ÜBER Kinder auch Geschichten FÜR Kinder, und daher fast zwangsläufig der Forderung unterworfen, einen gewissen pädagogischen Wert zu haben, den Bösen die Möglichkeit der Läuterung zu lassen, und die Guten als Vorbilder taugen zu lassen. In Es sind die Kinder keine Vorbilder (sondern Identifikationsfiguren), und die Bösen wirklich Böse.

Pennywise in neuer Gestalt – die übrigens deutlich eher der Beschreibung im Roman entspricht als Tim Currys Darstellung

Und Es ist eben Es. Es ist ebenfalls der Zeitverschiebung geschuldet, dass bestimmte Formen des Antagonisten nicht mehr auftauchen, und ein paar hinzukommen, aber die wichtigste Seiner Formen ist ohnehin Pennywise, der Tanzende Clown. Er wird gespielt von dem 27-jährigen Bill Skarsgård, der eine umwerfende Performance abliefert. Mit Tim Currys Darstellung kann man ihn schlicht nicht vergleichen, so unterschiedlich sind die beiden Clowns sowohl optisch wie auch in ihrem Verhalten. Für Fans der ersten Verfilmung also sicherlich eine subjektive Wahl, aber objektiv lässt sich an Skarsgårds Pennywise nicht rütteln. Wann immer dieser genügend Selbstkontrolle hat, um einigermaßen menschlich aufzutreten, gibt ihm Skarsgård eine grauenerregende Mischung aus fröhlichem Clown, kleinen Albernheiten, und einer gehörigen Portion dämonischem Wahnsinn. Und wenn dann, im späteren Verlauf des Films, Es immer mehr monströse Formen annimmt, sorgt guter, nicht übertriebener CGI-Einsatz für den notwendigen Schrecken und Ekel. Zwar weicht insbesondere das Finale deutlich vom Roman ab, dennoch sind alle wesentlichen Elemente vorhanden, bis hin zu einem kurzen Blick auf Sein wahres Ich.

Zugegeben: Ich kann Es nicht ganz objektiv beurteilen – zu sehr liebe ich das Buch, und zu gut gefällt mir diese neue Umsetzung desselben. Dennoch, ganz ohne Kritik habe ich das Kino auch nicht verlassen: Da wäre zum Beispiel die Mitte des Films. Dass Georgies Tod zwar naheliegend, aber (im Gegensatz zur Romanvorlage) nicht bewiesen ist, ist eine gute Änderung, die Bill stärker motiviert. Logisch, dass die Kinder dadurch auch schneller zu dem Schluss kommen, Es bekämpfen zu wollen. Doch irgendwie war mir das im Ergebnis doch etwas zu schnell – ein, zwei Schnitte, schon ist aus ein paar locker bekannten Kindern eine Gruppe geworden, die alte Unterlagen wälzt, und ohne lange zu diskutieren übereinkommt, das namenlose Böse jagen und töten zu wollen. Ein bisschen mehr Mit-sich-ringen hätte ich hier gern gesehen.

Und dann ist da noch Patrick Hockstetter. Im Roman die wahrscheinlich düsterste, böseste Figur. Er begeht Taten, die sogar schrecklicher sind als die von Pennywise – den Patrick wird von keinem Instinkt, keinem Hunger, nicht mal simplem Sadismus getrieben. Er – nicht Es – verkörpert im Roman das reine Böse, neben dem selbst Henry Bowsers verblasst. Im Film ist von Patricks abgründiger Persönlichkeit allerdings kaum noch etwas übrig – er wird auf kaum mehr als einen weiteren Kumpanen von Henry reduziert, und so entgeht dem Film völlig, diese spezielle Art von Bosheit weiter zu erforschen. Wahrscheinlich wäre dafür letztlich einfach kein Platz geblieben – aber dann hätte Patrick dem Film auch ganz fernbleiben können.

Ein Beispiel für die vielen, kleinen Details: Die Wand zeigt die Schießerei der Bradley-Bande, bei der Pennywise schon Anfang des Jahrhhunderts seine Finger im Spiel hatte

Es ist ein wunderbarer Film über eine Kinderfreundschaft in den Achtzigern, über Außenseiter, Mobbing, Missbrauch – all die Dinge, die ein Kinderleben im Guten wie im Schlechten prägen. Und natürlich über ein transdimensionales Monster, dass diese Kinder bekämpfen wollen. Gesellschaftsdrama, Abenteuer, Monsterhorror. Für Fans harter Horror-Schocker mag Es sicherlich zu sanft bleiben (auch wenn die FSK-16-Freigabe gut ausgereizt wird), andererseits kann man Es so auch schauen, wenn man Horror eigentlich gar nicht mag, solange man sich von den anderen Themen des Films angesprochen fühlt.

Ich habe noch eine andere steile These: Dieser Film, der voll mit Grausamkeiten verschiedenster Art ist, ist letztenendes ausgerechnet dieses: ein schönes Märchen über die Macht der Freundschaft.

Es läuft seit dem 28. September 2017 in den deutschen Kinos.
Eine Heimvideo-Veröffentlichung ist für den 22. Februar 2018 geplant.
Der zweite Teil soll am 6. September 2019 folgen.

Die Romanvorlage ist seit 2011 in einer neuen, vollständigen Übersetzung von Joachim Körber und Alexandra von Reinhardt als Taschenbuch im Verlag Heyne erhältlich.
Eine ungekürzte, von David Nathan gelesene Hörbuch-Fassung liegt als Download bei Audible und als CD bei Random House Audio vor.